Läufer aus Kenia sind für zahlreiche Marathon-Weltrekorde in den letzten Jahrzehnten verantwortlich.
So liefen etwa zwischen 2003 und 2023 sechs Männer aus Kenia neue Weltrekorde im Marathonlauf. Einzig der Äthiopier Haile Gebrselassie war in diesem Zeitraum der einzige Nicht-Kenianer, der ebenfalls einen (bzw. sogar gleich zwei) Marathon-Weltrekorde aufstellte. Grund genug, sich das Training der Kenianer und auch dessen Nachbarn aus Äthiopien genauer anzuschauen, wo vor wenigen Wochen Tigist Assefa bei den Frauen einen herausragenden Weltrekord aufstellte.
Doch neben dem Training selbst, gibt es noch weitere Ursachen, die die unglaubliche Dominanz afrikanischer Sportler im Laufsport erklären.
Training auf über 2.000 Metern Höhe
Einen riesigen Vorteil haben sowohl Kenianer als auch Äthiopier gegenüber einem Großraum der Konkurrenz aus Europa und auch allen anderen Kontinenten. Die "Trainingszentren" der Marathonprofis befinden sich allesamt im Hochland auf über 2.000 Metern Höhe. In Kenia ist das die Stadt Iten. Diese befindet sich auf 2.400 Metern Höhe. Hier oder in der 25 Kilometer entfernten Großstadt Eldoret leben nahezu alle Kenianer, die das Potential zum Weltklasseläufer aufbauen wollen. Auch Eldoret befindet sich rund 2.000 Meter über dem Meeresspiegel.
Äthiopiens Ebenbild zu Iten und Eldoret ist Addis Abeba. Die Hauptstadt Äthiopiens befindet sich, genauso wie Iten, auf rund 2.400 Metern Höhe. Die Region um Addis Abeba ist der Hotsport zahlreicher äthiopischer Spitzenläufer. Ebenfalls viele Weltklasseläufer sind in der Kleinstadt Bekoji auf 2.500 Metern Höhe anzutreffen. Hier wurden u.a. die Olympiasieger Tiruensh Dibaba und Kenenisa Bekele groß.
Das Leben in der Höhe ist ein großer Vorteil
All diese Trainingsorte haben eines gemeinsam. Sie liegen auf weit über 2.000 Metern Höhe. Während Europäer diese Regionen für drei- bis sechswöchige Trainingslager regelmäßig besuchen, trainieren Afrikas Profis fast das gesamte Jahr über in Afrika. Nur für internationale Wettkämpfe verlassen sie ihre Heimat. Und dort könnte einer der großen Vorteile liegen. Denn große Städte-Marathons oder internationale Meisterschaftsrennen werden zumeist auf einer deutlich niedrigeren Höhe ausgetragen.
Der Effekt des Höhentrainings erklärt
Auf 2.500 Metern Höhe ist zwar der Sauerstoffanteil genauso hoch wie im Tiefland, der Luftdruck und der Sauerstoffpartialdruck sind aber auf über 2.000 Metern Höhe reduziert. Auf 5.500 Metern Höhe ist der Luftdruck um die Hälfte reduziert, auf über 2.000 Metern Höhe liegt der Luftdruck bei etwa 75 - 80 % im Vergleich zur Meereshöhe.
Dieser reduzierte Luftdruck führt zu einem geringeren Sauerstoffpartialdruck (=SpO2) und einem reduzierten Sauerstoffanteil, der durch die Atmung aufgenommen werden kann. Die Folge ist eine geringere Sauerstoffsättigung im Blut.
Die Akklimatisation
Ist man die Höhe nicht gewöhnt, führt dieser Vorgang anfangs zu leichten Leistungseinbrüchen. Mit der Zeit gewöhnt sich der Körper aber an diese Verhältnisse. In diesem Fall spricht man von einer Akklimatisation.
Aufgrund des Sauerstoffmangels im Gewebe muss der Körper allerdings intensiver arbeiten um das Blut bzw. die Zellen mit Sauerstoff zu versorgen. Da sich der Körper an diese Bedingungen anpassen muss, passt sich der Körper durch eine Steigerung der Herzfrequenz und Atemfrequenz dementsprechend an. Dies führt zu einem verbesserten Atemminuten-Volumen. Doch das wichtigste Resultat dieses ganzen Prozesses ist eine erhöhte Anzahl roter Blutkörperchen. Dadurch kann der Körper mehr Sauerstoff in die Muskulatur befördern. Das Ergebnis ist eine verbesserte Ausdauer-Leistungsfähigkeit. Mehr dazu hier: Wirkung von Höhentraining
Viele Ausdauersportler tätigen daher ihre Trainingslager in der Saisonvorbereitung auf Hochebenen um genau den oben beschriebenen Prozess zu simulieren. Afrikas Athleten profitieren davon ihr Leben lang. Zudem fühlt sich für diese Athleten ein Marathon in Städten wie Berlin, London, Chicago oder New York deutlich weniger belastend an, als ihr Training auf über 2.000 Metern Höhe. Läufer, die hingegen großteils im Flachland trainieren, haben im Wettkampf kein vorteilhafteres Befinden gegenüber dem Training auf gleicher Ebene.
Wenig Asphalt, viel Gelände
Während die meisten Einwohner Europas bei der Höhenlage gegenüber den Afrikanern tatsächlich einfach nur Pech haben, können viele andere Trainingsdetails der besten Läufer der Welt durchaus kopiert werden.
Da wäre etwa der Untergrund der Trainingsstrecken. Eliud Kipchoge, Kelvin Kiptum & Co absolvieren ihr Lauftraining großteils auf profilierten und nicht-asphaltierten Strecken. Das gilt vor allem für alle Grundlagenläufe, aber auch für anspruchsvollere Einheiten, wie etwa dem Fahrtspiel (mehr dazu weiter unten). Auch der lange Dauerlauf im Marathon-Training wird zum größten Teil auf Schotterböden und selektiven Strecken gelaufen. Lediglich für Tempoläufe, wie etwa dem Intervalltraining, sind die Bedingungen optimiert, aber längst nicht so optimiert wie in Europa. Die 400-Meter-Rundbahnen sind in Kenia oder Äthiopien zumeist nicht in so gutem Zustand, wie etwa in Europa.
Auch dieser etwas geringere Trainingskomfort härtet zusätzlich ab und verschafft im Wettkampf unter optimalen Streckenbedingungen Vorteile gegenüber den Läufern, die hauptsächlich im Flachen und auf Asphalt trainiert haben.
Hoher Umfang für den Marathon
Marathon-Weltklasseläufer erreichen in der Trainingsvorbereitung Umfänge von teilweise über 200 Kilometern pro Woche. Zumeist werden jeden zweiten Tag ein oder zwei "kurze" Grundlagenläufe mit bis zu 20 Kilometern Länge absolviert. Dazwischen folgen die Kerneinheiten Intervalltraining, Fahrtspiel und langer Dauerlauf.
Eliud Kipchoge trainierte etwa für seinen Marathon in unter 2 Stunden vorrangig wie folgt:
- Montag: 2 Grundlagenläufe (1 x bis 21 km, 1 x bis 12 km)
- Dienstag: Intervalltraining
- Mittwoch: 2 Grundlagenläufe (wie Montag)
- Donnerstag: Langer Tempodauerlauf (NICHT langsam - mehr dazu weiter unten)
- Freitag: 2 Grundlagenläufe (wie Montag)
- Samstag: Fahrtspiel. Alternativ am Nachmittag noch ein kurzer Grundlagenlauf bei ausreichend Energie
- Sonntag: 1 Grundlagenlauf (rund 20 km)
In Summe kommt Eliud Kipchoge so auf rund 200 Kilometern pro Woche. Mehr zum Training des schnellsten Marathonläufers aller Zeiten.
Der lange Dauerlauf wird NICHT langsam gelaufen
Dieser Hinweis wird auch für viele Hobbyläufer wertvoll sein. Denn die oft fälschliche Empfehlung, den langen Dauerlauf im Marathontraining so langsam wie möglich zu laufen, teilen Afrikas Läufer überhaupt nicht. Der lange Dauerlauf sollte zumindest im Grundlagenbereich 1 (70 - 80 % der maximalen Herzfrequenz) gelaufen werden.
Die Distanz schwankt zwischen 30 und 40 Kilometern, bei weniger gut trainierten auch kürzer bzw. maximal etwas mehr als 30 Kilometer. Denn es bringt nichts, im Training deutlich länger unterwegs zu sein als es dann beim Wettkampf geplant ist. Und läuft man nun im Training deutlich langsamer als die geplante Marathon-Pace, dann tritt eben genau dieses Problem auf. Grundsätzlich sollten auch für Hobbyläufer die lange Dauerläufe nicht über einen Zeitraum von 3 Stunden hinausgehen.
Das Tempo: Die ersten 2 - 3 Kilometer sehr locker, danach mindestens auf das Grundlagentempo steigern. Kipchoge lief bei seinem Marathon 2019 (1:59:40 Stunden) eine Pace von 2:50 Minuten pro Kilometer. Ab Kilometer 3 kommt er beim langen Trainingslauf auf eine Pace von 3:00 - 3:25 Minuten pro Kilometer, stark abhängig von der Strecke, denn die führt ständig sanft bergauf und bergab. Im hügeligen Teil erreicht er 3:15 - 3:20 Minuten pro Kilometer, im Flachen erhöht er die Pace auf 3:00 Minuten pro Kilometer.
Schlussendlich liegt die Durchschnittspace nur 20 bis 25 Sekunden über der Marathon-Pace.
Das Fahrtspiel (Fartlek)
Bei Hobbyläufern kommt das sogenannten Fahrtspiel sehr selten zum Einsatz. Afrikas Läufer schwören aber auf diese Einheit, nicht nur in der Saisonvorbereitung, sondern auch in der spezifischen Vorbereitung für einen Marathon.
Beim Fahrtspiel findet ein Wechsel von hohem Tempo und Grundlagentempo statt (kein gemütliches Traben). Im Gegensatz zum Intervalltraining gibt es aber keine exakten Tempovorgaben für die zügigen Läufe, zumal auch beim Fahrtspiel auf profiliertem Gelände gelaufen wird.
Zumeist liegt die Pace bei den schnellen Abschnitten im Bereich des Marathon-Tempos oder etwas schneller.
Mehr dazu hier: Was bedeutet Fartlek (Fahrtspiel) und wie funktioniert das Training?
Intervalltraining: Mindestens 1-mal pro Woche
Ohne dem Intervalltraining geht natürlich auch bei Afrikas Spitzenläufer nichts. Neben dem Fahrtspiel ist es die zweite Tempoeinheit der Woche, allerdings mit höherer Belastung.
Beim Intervalltraining folgt ein Wechsel von hoher Belastung und Erholung (Traben). Die schnellen Abschnitte werden mindestens im Wettkampftempo gelaufen, aber zumeist minimal schneller, je nachdem welches Intervalltraining geplant ist.
Intervalleinheiten werden auch von Afrikas Topläufern zumeist auf der Bahn absolviert. Es ist also das einzige Training, welches zur Gänze auf flacher Strecke stattfindet. Das Intervalltraining wird allerdings nicht bis zur maximalen Erschöpfung gelaufen.
Mehr dazu hier: Intervalltraining für Läufer - so trainierst du Intervalle richtig!
Wenig komplexe, aber effiziente Ernährung
Während sich unsere Gesellschaft im Low-Carb-Trend fest fährt, vertrauen die Profis aus Afrika weiterhin auf kohlenhydratreiche Ernährung. Das Lieblingsessen vieler Marathon-Profis ist Ugali. Eine eher "langweilige" Speise aus Maismehl und Wasser, die allerdings unglaublich viele Kohlenhydrate liefert und gut verträglich ist.
Proteine holen sich die Sportler gerne aus Hülsenfrüchten, Geflügel und Bohnen. Auch Zucker darf nicht am Speiseplan fehlen. Dem beliebten Chai-Tee werden gerne viele Teelöffel Zucker hinzugefügt.
Mehr zur Ernährung der afrikanischen Läufer liest du hier: Wieso Läufer aus Afrika so stark sind!
Viel Schlaf
"Train, Eat, Sleep, Repeat" - diese Lebensweisheit verkörpern Läufer aus Afrika. Ablenkungen gibt es nicht. Im Trainingsgelände, in dem die Athleten in der Vorbereitung für ihre Wettkämpfe leben, wird sogar geschlechtergetrennt gelebt. Ehepartner sind also verboten. Auch sonst gibt es keine Ablenkungen.
Während viele Spitzensportler in Europa oder Amerika neben dem Sport noch Studieren oder weiteren Nebentätigkeiten nachgehen, widmen sich die Athleten in Kenia und Äthiopien vorrangig der Regeneration. Auch der Versuchung sozialer Netzwerke entkommen sie (großteils).
8 Stunden Schlaf pro Nacht sollten es mindestens sein, dazu auch noch ein kurzer "Power Nap" tagsüber zwischen den Einheiten.
Lebensstil und Schulzeit
Neben dem Lebensstil der Afrikaner, der sich zu 100 Prozent auf den Laufsport fokussiert, haben die meisten der internationalen Topstars ihre Grundlagen in frühen Kinderjahren aufgebaut. Von vielen Weltrekordlern gibt es interessante Geschichten über die täglichen Läufe in die Schule und wieder retour.
Bekanntestes Beispiel ist der Äthiopier Haile Gebrselassie. Der zweifache Olympiasieger und zweimalige Marathon-Weltrekordler lief als Kind jeden Tag in der Früh zehn Kilometer zur Schule und Nachmittags wieder die selbe Strecke nach Hause. Damit hatte sich Gebrselassie eine Grundlagenausdauer aufgebaut, die ein europäisches Kind mit dem typischen europäischen Lebensstil (Bus oder Auto zur Schule und wenig Sportangebot in den Schulen) nie wieder aufholen kann.
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