Es ist noch gar nicht so lange her, da war alles „2.0“, dann „3.0“. In letzter Zeit wird vieles mit dem Zusatz „4.0“ versehen um darauf hinzuweisen, wie aktuell und zukunftsträchtig das wäre. Treviso ist heuer mein vierter Marathon, also 4.0
Ende Dezember bin ich am Weg nach Bologna an Treviso vorbeigefahren, diesmal ist die kleine Stadt das Ziel. Zwei Autostunden sind es noch nach der Kärntner Grenze.
Eine entzückende, knipsenswerte Altstadt erwartet mich, über weite Strecke stehen die Stadtmauern noch, auch die Wassergräben gibt es noch. Nur wenige Bausünden habe ich im „Centro“ gesehen, die grässlichste gibt es an der Piazza Borsa, es ist die Handelskammer, Ort der Startnummernabholung. Am besten nicht so genau hinsehen.
Samstag bin ich schon ganz früh wach und lasse beim Morgenspaziergang das noch menschenleere Zentrum bereits vor dem Frühstück auf mich wirken. Immer wieder der Seitenarm eines Flüsschens, unter jedem zweiten Haus, viele aus dem 15. Jhdt, scheint ein Fluss zu entspringen. Fast wie in Venedig, nur dass es sich hier um fließendes Wasser handelt.
Die Startnummer bekomme ich Samstag früh prompt, samt (zu kleinem) Teilnehmershirt in lila und üppigem, schwerem Starterbag. Zu Mittag erhalten die schwarzen Gazellen öffentlich ihre Nummern. Am Nachmittag läuft mir der frisch aus Frankfurt eingeflogene Herbert Adams über den Weg. Als Hesse hat er mit dem Frankfurter Flughafen überall hin schnell einmal eine günstige Flugverbindung, davon können wir Linzer nur träumen.
Das Hotel Continental bietet am Renntag wegen des Marathons das Frühstück bereits ab 05h30 an. Als ich guter Dinge mein Gepäck im Auto verstauen will muss ich feststellen dass mir nachts irgendein „stronzo“ ins geparkte Auto gefahren ist und meine neue, 7 Wochen alte Stoßstange beschädigt hat. Fahrerflucht. Vermutlich der Lenker eines weißen Lieferwagens den Spuren nach zu schließen. Eine Polizistin rät mir zu einer Anzeige – Denuncia – aber erst morgen Montag. Am Sonntag geht da gar nichts.
7°C hat es als ich mich auf den Weg zum Start mache, die Sonne scheint, es ist windstill. Die Mooh-runs (3,7km + 10km) werden vorbereitet, laute Musik soll die Leute munter machen. Die schicken Shirts der Läufer weisen neben der bunten Werbung schwarz-weiße Kuhflecken auf. Noch vor der Startlinie für den Marathon parken als Rahmenprogramm etwa 25 startklare Oldtimer, vorzugsweise aus den 1960ern. Jedenfalls aus einer Zeit da man das Wort „Katalysator“ maximal aus dem Chemie-Unterricht kannte. Gute Musik wird gespielt, von Pink Floyd bis Green Day.
Heidi Riepl geht mir über den Weg. Aufgrund einer Oberschenkelverletzung geht es ihr heute ums Finishen, wo man schon einmal da ist. Schnell laufen geht heute nicht. Bei mir auch nicht, ich war heuer schon fitter.
Der Sprecher heizt die Stimmung an: Noch 5min, noch 4min, noch 30sec…Countdown.
Mit 5 Minuten Verspätung wird gestartet, geradeaus nach Norden. Waren die Pacer-Ballons beim Start noch beisammen, ist bald eine Struktur zu erkennen. Ich geselle mich zu den 4h15ern und stelle fest, dass die 3 Pacer (2 Damen, 1 Herr) ihre Sache ausnehmend gut machen. Konstant um die 6’00/km und gesprächig sind sie auch. Ständig stehen sie im Kontakt mit den wenigen Interessenten am Streckenrand aber auch mit ihrem Gefolge.
Aus Treviso raus laufen wir an Villen vorbei und schönen Parks. Schon nach 3km ist die Sonne weg und der Wind ist recht kühl. Vor km5 ändert sich die Hauptrichtung und es gibt Wasser bevor wir in Lancenigo unter der Eisenbahn durchlaufen. Es geht an Spalierobstplantagen vorbei und durch Dörfer. Bei km8 wird es abwechslungsreich. Mooh-Runner (Kuhläufer) rennen einige 100m parallel zu uns durch das neu erbaute Regierungsareal des Bezirks das aussieht wie ein Uni-Campus. Wir Marathonis laufen ein „U“ am Arbeitsamt vorbei, die 10km-Mooh-Runner geradeaus weiter.
Dann ist wieder alles ländlich, 59min bis km10. Bei km11 geht es über die A27, ein Bogen nach rechts und etwas südlicher bei km12 noch einmal über die Autobahn.
So kommt man auch in flacher Landschaft auf seine Höhenmeter. Wegen der flachen Gegend spürt man gleich einmal den Wind, der mir doch etwas zu kühl ist. Ich laufe kurzbehost und mit drei dünnen Shirts, eines davon langärmelig. Eine gute Wahl.
Kurz vor Silea, an einer Kirche vorbei, feuern uns die Kirchgeher an, viele davon mit Palmbuschen in der Hand. Ach ja, es ist Palmsonntag heute. Es geht wieder unter der Eisenbahn durch, noch ein paar Höhenmeter.
Es sorgen eher die Schrittmacher für Stimmung indem sie die wenigen Zaungäste zu „Bravo, Brava, Bravi“-Rufen animieren. Deswegen ist es eigentlich ziemlich laut in unserer 4h15er-Gruppe.
Dann eine Bucht mit eingewinterten Booten, der Fluss Sile ist hier etwas aufgestaut worden. Diesen Fluss mit erstaunlich klarem Wasser werde ich heute noch öfters und länger sehen.
Nach km20 geht es erneut über die A27. Ich lasse die Schrittmacher ziehen und gleich wird es leise. 10km/h Schnitt bis Halbmarathon, so schlimm kann es nicht mehr werden. Jemand ruft den Läufern den jeweiligen aktuellen Zwischenrang zu. Ich bin derzeit auf Platz 1.200irgendwas.
Die Strecke gibt bislang nicht wirklich was her, ist schon ein bisschen öde. Ich bin hungrig und durstig trotz mitgeführter Powerade-Flasche, ich habe einfach zu wenig getrunken. Bei km25 tanke ich auf, in meine Flasche fülle ich warmen Tee, sehr süß! Die Blutorangen sind überraschend schmackhaft, die hätte ich mir saurer erwartet.
Voller Bauch läuft nicht gern, vielleicht lerne ich es noch. Ist ja erst mein 140. Marathon, man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Dafür habe ich nun mehr Zeit um Fotos zu machen, zum Glück wird die Strecke zusehends attraktiver. Es geht über den Fluss und dann an dessen Ufer entlang nach Casale sul Sile. Die Sonne kommt durch.
Der frei stehende Kirchturm bei km28 ist imposant, gleich darauf der Torre di Casale den wir fast umrunden. Die nächste Schwammstation, Schwammstationen sind heute nicht so populär, ein Thermometer zeigt 12°C.
Aber Zuseher gibt es in Casale die uns aus eigenem Antrieb heraus anfeuern. Wir sind hier am südlichsten Punkt der Strecke, die Sonne haben wir in Zukunft somit im Rücken. Langsam wird es angenehm warm. Den Wind, wenn er denn bläst, empfinde ich nun eher als angenehm. Die Labestelle bei km30 lässt keine Wünsche offen. Auch hier stimmt das km-Schild exakt mit meinem Garmin überein.
3h07 bis hierher. Wenig später eine Ansammlung von Athleten die den Rest mit dem Bus fahren werden. Zwei Aussteigersammelstellen sind vorgesehen, das hier ist die zweite. Schnurgerade geht es Richtung Treviso, unter der A27 durch. Es sieht aus wie zwischen Palmanova und Aquileia. Der Aquileia-Marathon findet übrigens auch jetzt gerade statt.
Ab km33 folgen wir dem Fluss, nun ist es landschaftlich schön. Am Porto di Casier verlassen wir die Landstraße, vorbei an einem antiken Ladekran. Luca bekommt Zuspruch von seiner Freundin. Der weiße Kirchturm der „
sieht so gar nicht typisch venezianisch aus, gefällt mir aber.Von hier nach Venedig sind es nur 30km, das könnte man zur Not auch laufen. Aber wir laufen nach Treviso, wo wir hergekommen sind, noch 8km. Sile flussaufwärts, dann ein Stück auf einem neuen, 2m hohen, stabilen und rollstuhlgeeigneten Holzsteg der kurvenreich über das Flussufer und die Au führt. Im Schlamm sind malerisch verrottet einige Gerippe von Holzkähnen zu sehen. Wir sind hier im Naturpark Sile am „Cimitero dei Burci“. 19 Wracks von alten Transportbooten sollen es insgesamt sein.
Am Ufer gegenüber Lagerhäuser und Silos, dahinter der blitzblaue Himmel. Das Wetter hat sich in den letzten Stunden ganz nett entwickelt. Luca Zanin erzählt mir, dass das heute sein 88. Marathon wäre, nur einen davon ist er im Ausland gelaufen, in Laibach. Seinen 100. will er in Tromsø laufen und dann ist Schluss damit, sagt er.
Luca ist momentan ziemlich fertig und vielleicht darf man ihn da nicht so ernst nehmen. Schließlich ist er erst 44 Jahre alt. Da kann noch viel kommen, in seinem Alter hatte ich erst drei Marathons absolviert.
Meine Fotostopps werden immer mehr, schön ist es hier, der Fluss zu unserer Linken. Sanitäter füttern mangels kollabierender Läufer die Wasservögel, Pärchen auf Bänken genießen die wärmende Sonne, angenehm friedlich ist es hier. Der Uferweg ist nicht immer asphaltiert, zwischendurch laufen wir auf Kieswegen. Die Bäume beginnen in weiß und rosa zu blühen und ich kann keine Pollen spüren, herrlich.
Kurz vor km40 gibt es noch einmal etwas zu trinken und dann sehe ich die Festung San Paolo über der Stadtmauer. Ihre zwei zinnenbewehrten Türme spiegeln sich im Fluss, ab nun sind wir in der Innenstadt. Am Fluss entlang erreiche ich die eher unscheinbare Dante-Brücke. Hier mündet der „Große Cagnan“ in die Sile. Dante hat diese Stelle in seiner „göttlichen Kömodie“ erwähnt. Das ist etwa 700(!) Jahre her (Dante Alighieri, „La Divina Commedia“, beendet 1321). Dieser Vers und die Brücke sind nun auf der Finisher-Medaille verewigt worden.
Vorbei an der Uni, vorbei an der „Ponte dell'Università“, einer neuen bogenförmigen Holzbrücke, dann auf der Ponte Santa Margharita über den Fluss und am rechten Flussufer weiter, leicht ansteigend. Zum letzten Mal über die Sile, rein ins Zentrum.
Am Standlmarkt werden noch immer italienischen Spezialitäten angeboten, Würste, Schinken, Käse, Oliven in den unterschiedlichsten Varianten aus allen Regionen des Landes. Ebenso haben die meisten Geschäfte geöffnet. Hinterm Standlmarkt ist das hässliche Gebäude der Handelskammer zu sehen. Ich kann gut verstehen, dass die Bronzestatue des Tenors Mario del Monaco dem Haus den Rücken zudreht.
Km41, es geht die „via XX Settembre“ rauf zur „Piazza dei Signori“, das ist DER Mittelpunkt von Treviso schlechthin. Vor dem Rathaus und der Präfektur genießen die Leute ihren Sonntagnachmittag bei „Caffè“ und Kuchen und schauen was da auf der abgesperrten Strecke so daherkommt.
Die meisten Pferde des Nostalgieringelspiels drehen sich reiterlos im Kreis. Da rechts rein geht es zur „Fontana delle Tette“. 1560 wurde das Original fertig gestellt. Das ist nun arg ramponiert. Was man heute sieht ist eine Kopie die Wasser spendet und keinen Wein mehr wie früher zu besonderen Anlässen. In Leonding gibt es auch (noch) so einen Brunnen, nur trockengelegt.
Beiderseits der Gasse bieten die Arkaden, ähnlich wie in Bologna, hervorragende Akustik für Straßenmusiker. Seit 4h31 bin ich unterwegs.
Links der Dom dessen Stirnseite aussieht wie ein griechischer Tempel. Es geht runter zum Robegan-Haus aus dem 16. Jhdt. Rechts, es steigt leicht an. Noch einmal rechts und da ruft einer „Grande, Herbert!“ Aah, das tut gut!
Dann links rauf, rechts, km42. Ich laufe über den „Großen Cagnan“, die x-te und letzte Flussüberquerung heute. Der Zieleinlauf erfolgt parallel zur Stadtmauer. Hier werden wir tatsächlich wieder angefeuert. Ja, das ist Stimmung!
Das letzte Stück laufen wir sogar auf rotem Teppich. Km 42,30 zeigt mein Laufcomputer nach der Ziellinie.
Heidi begrüßt mich gut gelaunt im Ziel. Ihr ist es wesentlich besser ergangen als noch am Start erwartet. Sie hat sich im Schongang quasi gesund gelaufen.
Heidi ist lange genug im Ziel um mir die Suppe empfehlen zu können. Mit Radicchio oben drauf, dann dafür ist die Gegend hier berühmt. Wie man sagt und wie ich auf einigen Straßenschildern unterwegs lesen konnte.
Erst bekomme ich meine Erinnerungsmedaille, dann müht sich ein junger Bursche mit meinen Schuhbändern ab um den Leih-Chip sicherzustellen. Bücken kann ich mich so unmittelbar nach einem Marathon schlecht und Sitzgelegenheiten sind weit. Aber die Helferinnen und Helfer machen das recht ordentlich.
Mein Kleiderbeutel beim Start ist nur 600m entfernt. Am Weg dorthin komme ich durch ein altes Stadttor, die weiße „Porta de San Thomaso“ aus 1518 mit dem Markuslöwen drauf. Auch sehr schön, besonders die Nordansicht. Ja, die Stadt gefällt mir echt.
Kurz nach dem Besenwagen begegnet mir am Weg zum Auto Giovanni Bertoli. Er wird mit 6h05:10 Letzter in der Wertung werden und damit 1. der AK-85. © Herbert Orlinger
Sieger
- 1. Chumba Gilbert Kipleting 2h 12min 17sec
- 2. Chemungar Raymond Kemboi 2h 13min 36sec
- 3. Kabbouri Yassine 2h 20min 01sec
Siegerinnen
- 1. Armino Medina Deme 2h 33min 15sec
- 2. Tanui Euliter Jepchirchir 2h 34min 44sec
- 3. Sustic Nikolina 2h 43min 50sec
1.442 Marathonfinisher
_ _ _
Startgeld Marathon € 28 - € 60 stufenweise, je nach Anmeldezeitpunkt
Schöne Relief-Finishermedaille, 6,7cm x 5,8cm
zu kleines Funktions-Finishershirt – wie fast immer in Südeuropa,
im Starterbag: Kekse, Nudeln, Orangenmarmelade, Isogetränk
alle 5km Tränken mit Wasser, später Sali, Obst, Kekse, Rosinen; Ziellabe mit Suppe
mysdam-Chip Zeitnehmung, Kleiderbeutelabgabe + Duschen beim Start
Zu guter Letzt - ein paar Eindrücke von Treviso:
Fotos (C) Herbert Orlinger
Kommentar schreiben