Mit stetigem Formaufbau seit März des Jahres nimmt bei mir auch das Verlangen wieder zu, mal den einen oder anderen Extremlauf ins Laufprogramm einzubauen.
Üblicherweise nehme ich da so ein bis zwei „ordentliche“ Bergmarathons ins Jahres-Portfolio mit auf, bei denen es dann um die zweitausend oder mehr Höhenmeter auf der klassischen Marathonstrecke „mitzunehmen“ gilt.
Für Juni war ich da schon länger auf die Webseite des Velebit Trail Marathons im Velebit-Gebirge / Paklenica Nationalpark, Kroatien, gestoßen, der auf der klassischen 42-km-Distanz mit angegebenen +/- 2.200 HM aufwarten lässt (wie sich später herausstellen wird, sind es de facto mehr). Der Bewerb schien mir gleich attraktiv und zeitlich passend und Voranmeldung ohne sofortige Bezahlung war möglich. Sobald mein Entschluss feststand, hatte ich die 30 € Startgebühr überwiesen und ein Privatapartment in Starigrad-Paklenica gebucht. Anreise musste – wie üblich nach Kroatien leider (fast) alternativlos – mit dem Auto stattfinden.
Anreise am Vortag und erster Eindruck
Die Anreise freitags gestaltet sich problemlos, hatte doch die volle Sommerurlaubs-Saison mit dem starken Nord-Süd Transitverkehr noch nicht eingesetzt (e-Vignette für Slowenien vorab online gekauft; für Kroatien die Telepass Mautbox für Italien von maut1.de genutzt, was seit 2024 möglich ist). Nach dem Check-In im Privatquartier, ein paar Gehminuten entfernt vom kleinen Hafen in Starigrad (nicht zu verwechseln mit Stari Grad auf der Insel Hvar), wo auch am Folgetag der Start des Marathons sein wird, erkunde ich noch den Ort mit seiner kleinen aber feinen Strandpromenade, Badeplätze am Ufer mit Blick über die Meeresbucht auf die gegenüberliegende Halbinsel Pag. Für alle, die bereits am Vorabend die Startnummer in Empfang nehmen wollen, ist dies ab 20:00h im Hafen möglich. Ich genieße vorher noch das übliche Carbo-Loading vor Ort in einem der feinen Pizza-Restaurants mit Terrasse. Das Wetter ist angenehm, für den Folgetag sind 13 Stunden Sonnenschein vorausgesagt, aber mit nur max. 27° C, was für die Jahreszeit und Gegend offensichtlich ein sehr „kühler“ Tag ist, worauf mich auch ein Streckenposten am nächsten Morgen betont aufmerksam machen wird. Die Organisatoren des Bewerbs hatten auch in den Social Media darauf hingewiesen, dass es dieses Jahr nicht die übliche „Hölle“ sein wird (Anm.: Paklenica bedeutet so viel wie „kleine Hölle“) – zumindest was die Temperaturen betrifft.
Dennoch hatten sich dann von den insgesamt 56 Vorangemeldeten für den Trail-Marathon doch noch vierzehn abschrecken lassen (DNS), sodass wir verbleibenden 42 Starter letztlich am Freitag um 07:00 h morgens zur kurzen Lauf-Vorbesprechung an der Hauptstraße vor dem Hafen stehen (Ulica Dr. Franje Tuđmana / Stjepan Radić Square).
Samstag – Race Day
Der Race Direktor erläutert auf Kroatisch und kurz auch in Englisch, was wir im Wesentlichen bei der längsten der vier angebotenen Strecken zu erwarten haben. Gleich nach dem Start wird es nach nicht mal einem Kilometer zum NW-Eingang des Nationalparks gehen und von dort in einer riesigen Schleife über praktisch zwei Gebirgszüge wieder retour zum Fuß des Nationalparks auf der Südostseite, dem eigentlichen Haupteingang des Paklenica NP, wo wir dann zum Abschluss noch die letzten zwei bis drei Kilometer bis ins Ziel tatsächlich auf Asphalt laufen werden können. Das dürfte in diesem Moment jedoch noch niemanden interessieren. Alle starren wir fast ehrfürchtig auf den ersten Anstiegsberg vor uns.
Bloß eine Minute nach 07:00 Uhr ist dann auch schon das Startsignal zu vernehmen und es geht eine kleine Straße rauf durch den Ort, der nach einigen Häusern und Grundstücken am Hang auch schon wieder zu Ende ist. Von da an werden wir die nächsten acht Stunden kaum menschliche Behausungen mehr sehen, von den ganz wenigen Berghütten aus Stein im Gebirge mal abgesehen. Im Nu befinden wir uns auch schon auf dem Trail des Nationalparks, und es geht gnadenlos steil bergauf, direkt hinein ins – praktisch unlaufbare – Karstgebirge. Steinpfade führen uns von Meereshöhe auf ca. 300 m ü.d.M., vorbei am ersten Karstgipfel, dem Veliki Vitrenik (433m), weiter gerade ins Landesinnere Richtung Ramici (Siedlung mit ein paar wenigen Häusern), welche wir nach 6 km auf einem kleineren Hochplateau auf ca. 550 m erreichen und wo sich auch eine wichtige Abzweigung des Trails Richtung SO-Seite des Nationalparks mit seinen berühmten Kletter-Canyons befindet.
Der Marathon hingegen führt hier noch weiter nach NW, wo wir nach einem knappen laufbaren Wegstück von ca. einem Kilometer weiter unaufhörlich Höhenmeter akkumulieren müssen. Die zu überwindenden Steinstufen sind mitunter so hoch, dass es ohne Stöcke zusätzlicher Anstrengung bedarf, um hier zügig vorwärtszukommen. Wer sich für die Mitnahme der Stöcke entschieden hat, ist nun definitiv im Vorteil, welcher sich auch später, bei den krassen Abstiegen durch den Wald in der zweiten Hälfte des Marathons ebenfalls bezahlt machen würde.
Erstmals zeigt sich nun auch in der Ferne die höchste Erhebung unserer Strecke, der Voganski Vrh, mit seinen 1.757m der vierthöchste Gipfel Kroatiens und höchste Erhebung im Velebit (höchstes Gebirge des Landes). Mächtig thront er da im bereits gleißenden Sonnenlicht und allen ist bewusst, dass es noch ein verdammt hartes Stück Arbeit sein wird, bis wir den Blick von oben in die Ferne schweifen lassen werden können.
Einstweilen bieten sich allerdings auch schon sensationelle Aussichten rundum an. Als „Älpler“ ist man ja einiges gewohnt, aber Canyons, eingefasst von mächtigen Felswänden türmen sich da nacheinander auf, nur um immer wieder gleich durch jähe Abhänge und weitläufigen Dolinen (Karsttrichter) unterbrochen zu werden. Verschiedenste Strauchgewächse nehmen von jenen Stellen Besitz, die zwischen den kargen Karstgesteinsböden noch ausreichend Erdreich anbieten. Nicht umsonst wurde der bereits 1949 proklamierte Nationalpark Paklenica 1978 zum UNESCO Biosphären Reservat erklärt und weiters in 2017 als UNESCO World Heritage Site („Ancient and Primeval Beech Forests of the Carpatiens“) deklariert. Mehr als 1.000 Pflanzenspezies, 260 Vogelarten, 25 Reptilien- und Amphibiengattungen beherbergt die Region, zusätzlich zu 85 Arten von Schmetterlingen, von welchen man einige auch beim Lauf tatsächlich immer wieder zu sehen bekommt.
Weiter den Trail aufwärts erkennen wir nach rückwärts blickend, die wieder die grosse Halbinsel Pag und den Starigrad vorgelagerten Meeresarm, der hier ins Landesinnere schneidet. Am Vorabend konnte ich dort, in unmittelbarer Nähe der kleinen Marina von Starigrad, Delphine bei ihrem Abendausflug in die Bucht beobachten. Die Canyons zwischen dem über 1.700 m hohen Gebirge bieten dem trainierten Wanderer ein Trailnetz von 150 Kilometern und 14 Gipfeln zum Besteigen. Wer sich lieber in die Berge hinein begibt, kann dies in vielen der 150 Höhlen tun. Am bekanntesten in der Alpinszene sind aber wohl die 500 Kletterrouten des Nationalparks, wovon viele gut dokumentiert und zum Nachklettern vordefiniert sind.
Beim Marathon nähern wir uns endlich der 1.000 Höhenmetergrenze bei Kilometer 14, und nach weiteren, heftigen Anstiegen auf extrem zerklüfteten Felsgesteins-Pfaden überschreite ich 1.600 m über dem Meeresspiegel (ca. Kilometer 17), vorbei am Babin Vrh (1.738 m), und erklimme endlich den höchsten Punkt der Strecke, Vojanski Vrh (1.757 m) bei km 19. Frischer Wind sorgt hier für Kühlung. Die Aussicht ist grandios. Richtung Norden fällt eine Felswand einige hundert Meter kerzengerade ab und bildet eine riesige Doline.
Über 4 Stunden bin ich bereits unterwegs, und noch nicht einmal ganz die Hälfte der Strecke ist bewältigt! Später zeigt sich dies auch klar in der Ergebnisliste – nur die ersten sechs Läufer hatten es unter 7 Stunden ins Ziel geschafft! Läuferisch jedoch macht der nachfolgende Streckenteil nun richtig Spaß. Erstmals kann man auch etwas zügiger auf dem wunderschönen Grat laufen, welchem unser äußerst gut markierter Trail nun folgt. Dennoch ist permanent Vorsicht geboten, nicht zu Fall zu kommen.
Zu viele Möglichkeiten bieten sich an mit all dem Gestein und Wurzeln am Weg, manchmal nicht sichtbar, weil von Grasbüschen überwachsen. Oftmals stolpere ich während dieses Laufes, zum Glück komme ich aber ohne Sturz bis ans Ziel. Das kann nicht jeder von sich behaupten. Das geforderte Verbandszeug in der Pflichtausrüstung für den Lauf macht allemal Sinn, zumindest für eine etwaige Erstversorgung. Weiter entlang der Baumgrenze laufe ich bei KM 24 unterhalb des nächsten Gipfels, Bili Vrh (1.656 m) vorbei. Der Trail führt ab jetzt stark bergab und ich nähere mich rasch bei KM 28 dem nächsten Check-Point, der Berghütte Planinarsko Kloniste Vlaski Grad auf 1.280 m. Hinter der Hütte gibt es eine Quelle, wo ich meine Wasserflasche mit bestem, eiskalten Frischwasser auffüllen kann. Die Labe-/Wasserstellen sind wie bei vielen Ultra-Trails auch beim Velebit Marathon eher weit auseinander gesetzt und ich hatte deshalb ausreichend Flüssigkeit mitgenommen, auch wenn dies ein wenig Zusatzgewicht bedeutet.
Unser Trail führt nun nach der Hütte extrem steil bergab durch den Wald. Ich bewege mich auf äußerst schwierig zu laufendem Terrain, oftmals mehr Rinnsal als Weg, und für abwärts bewege ich mich eigentlich relativ langsam. Aber zu riskant wäre hier, mehr aufs Tempo zu drücken. Damit wird mir auch bewusst, dass dies mein (zeitlich) längster Marathon werden könnte. Am Schluss stellt sich heraus, dass ich nur für den legendären Sentiero della Grigne Skymarathon in Pasturo (Italien) in 2009 eine halbe Stunde länger benötigt hatte.
Die steile Abwärtspassage beim Velebit währt allerdings nicht allzu lange. Jäh leitet uns der Trail auf der gegenüberliegenden Seite einer massiven Waldschneise wieder steil hoch, und dies nun über durch den Regen der Vorwoche noch sehr rutschige Stellen. Wieder ein Teilstück bei dem ich von der Mitnahme der Stöcke profitieren hätte können. Die permanente Belastung der Beinmuskulatur ist nun schon recht spürbar, nichtsdestotrotz bereitet mir die Schönheit der zu durchlaufenden Natur weiterhin viel Freude und damit Energie. Weiter den Wald hinab gelange ich nach ca. 34 km zur nächsten Berghütte, Planinarsko Kloniste Vlaski Grad (ca. 500 m ü.d.M.). welche ganzjährig geöffnet ist und Übernachtungen ermöglicht. Ab jetzt mündet der Trail in den offiziellen Weitwanderweg des Nationalparks mit endlich mehr als nur einem halben Meter Breite. Ich folge konsequent dem Wanderweg abwärts, der bis zum Park-Eingang entlang des Flusses Velika Paklenica führen wird. Meine Tempobeschleunigung trotz breiteren Weges hält sich dennoch sehr in Grenzen. Viele (Stolper-)Steine mahnen weiterhin zur Konzentration auf die jeweils nächsten Schritte. Auf nunmehr unter 400 m Seehöhe erreichen wir die letzte Schutzhütte, Lugarnica Foresters House, welche auch als Versorgungspunkt herangezogen werden könnte. Ich laufe direkt weiter, aber nicht ohne noch einige Fotos von dem nun sich vor uns entfaltenden Canyon zu machen. Links und rechts des Weges tun sich immense Felsformationen auf. Unter Kletterern gilt dieser Canyon nicht zu Unrecht als Routen-Paradies. Viele Einstiegsstellen haben klingende Namen, wie Winnetou 1, 2, 3, usw. Man kann es sich jetzt gut vorstellen, wie ab 1962 einige der Szenen mancher Winnetou-Filme hier gedreht wurden (Der Schatz im Silbersee, Unter Geiern, Old Surehand, …) und wie etwa Winnetou auf der Felsspitze des einen Canyons seinem Freund Old Surehand auf der anderen Felsformation zuwinkte.
Meine Aufmerksamkeit gilt weiterhin dem steinigen Weg und den vermehrt vom Parkeingang herauf wandernden Touristen. Stundenlang ging es (fast) einsam über Bergpfade und Wald, aber nun nimmt gegen Ende des Trails auch der „Verkehr“ etwas zu. Ich erreiche den Parkplatz vor dem Park und kann das Gefühl des Asphalts unter meinen Sohlen momentan kaum begreifen – fast etwas irritiert laufe ich erstmals ganz ruhig die letzten ca. 3 Kilometer durch den oberen Ortsteil von Starigrad unter hoch stehender Sonne. Und dann kommt auch schon der ersehnte Richtungspfeil, der mich 90° links in die kleine Stichstraße runter zum Hafen führt. Nach über 9 Stunden Trailrunning laufe ich überglücklich ins Ziel ein und nehme meine schwer verdiente Medaille mit Stolz entgegen. Trotz des hohen Schwierigkeitsgrades dieses Marathons, konnte ich meine Kräfte durchgängig gut einteilen und von Anfang bis zum Schluss die gesamte Strecke in vollen Zügen genießen. Natürlich freute ich mich auch anschließend riesig auf das herrliche „Sieger“-Bier als kleine Belohnung.
Ausklang vor Ort
Das Abendessen in einem der netten Strandlokale nach dem Lauf war naturgemäß ein Hochgenuss. Am nächsten Morgen zelebriere ich dann ein ausführliches Frühstück auf dem Balkon unseres Privatquartiers, zusammen mit meinem Sohn, der mich auf dem Kurzurlaub begleitet hatte. Eine kleine Wanderung entlang dem Strand und ein wenig Schwimmen zum Lockern der Muskulatur füllen den Sonntag gut aus. Deshalb mag ich auch Läufe sehr gerne, die bereits am Samstag stattfinden, weil man dann noch den ganzen nächsten Sonntag zum Regenerieren und Genießen hat.
Fazit
Der Velebit Trail Marathon ist ein äußerst schwieriger Bergmarathon. Die Bezeichnung als Traillauf suggeriert fast eine Leichtigkeit, die in kaum einem Abschnitt zu finden ist. Es soll hier klar festgehalten werden, dass dieser Monster-Marathon nur etwas für erfahrene Trail- und Bergläufer ist, die idealerweise auch Ultralauf-Erfahrung mitbringen. Auf der positiven Seite winken als Belohnung „atemberaubende“ Aus- und Einblicke in die Vielfältigkeit und landschaftliche Schönheit des Nationalparks und Biosphärenreservats Paklenica / Velebit-Gebirge. Für wenig Geld wird eine klug durchdachte Streckenführung angeboten, bei der man sich trotz der Weitläufigkeit des Terrains durchgängig gut aufgehoben fühlt. Die Angaben für Distanz und Höhenmeter in der Ausschreibung sind jedoch etwas untertrieben. De facto muss man schon mit 44 KM und fast 2.500 Höhenmetern rechnen.
Die Finisher-Medaille ist einfach gehalten und könnte in Zukunft der läuferischen Anstrengung noch angemessener gestaltet werden. Die Öffentlichkeitsarbeit des Laufes ist schlicht gehalten, aber alle essentiellen Informationen sind auf der einfachen Website des Veranstalters outdoor.hr zu finden. Für den versierten Trailläufer, der/die sich wieder mal gerne einer ordentlichen Herausforderung stellen möchte, ist der Bewerb eine ganz klare Empfehlung. Wem die Marathondistanz mit so vielen Höhenmetern zu lange erscheint, werden alternativ noch drei kürzere Distanzen angeboten (24, 14, 7 km). Die Laufveranstaltung lässt sich sehr gut mit ein paar Tagen Urlaub am Meer verbinden. Starigrad und das nicht weit entfernte Zadar bieten dazu umfangreiche Möglichkeiten.
Teilnehmer und Siegerzeiten
Frauen:
- Matea Grabovica, CRO 06:47:45
- Dijana Janžek, CRO 08:12:30
- Cristina Cirstinoiu, ROU 08:35:57
∑ 8 Finisher, 1 DNF ♀
Männer:
- Karlo Vučinić, CRO 05:46:38
- JiříKřenek, CZE 06:16:16
- Hrvoje Vlašić, CRO 06:16:56
∑ 31 Finisher, 2 DNF ♂
Weitere Fotos und Ergebnisse vom Velebit Trail Marathon
Fotos: © Werner Kroer
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