Anfang der Woche frage ich bei Vlastimil Šroubek nach, ob denn der Marathon auf der Laufbahn tatsächlich stattfinden würde. Ja, wird er. Die Aussicht auf einen Marathon hebt meine Stimmung. In CZ haben derzeit die Geschäfte offen, ebenso die Hotels und Gaststätten, die Skilifte werden ab 18.12. aufsperren.
Um in Tschechien einreisen zu dürfen, braucht man als Tourist einen neuen PCR-Test, der sollte negativ sein. Er kostet mich € 115,-. Außerdem muss man sich im Internet beim CZ-Gesundheitsministerium anmelden, mit der Info, wann man wo in CZ sein würde. Das kostet nichts, die Rück-Bestätigung der Anmeldung muss man allerdings bei der Einreise als Ausdruck oder am Smartphone dabeihaben.
12. Dezember: 12min nach Ablauf des nächtlichen Hausarrests starte ich in Linz Evis Auto, keine halbe Stunde später bin ich an der Grenze. Dort interessiert sich kein Mensch für mich, mit 30km/h fahre ich durch.
Die Autobahnbaustelle zwischen Kaplitz und Budweis hatte monatelang einen viele km langen Umweg erforderlich gemacht, jetzt nicht mehr. Schon vor Budweis ist es halbwegs hell, die Wolken hängen tief. Vor zwei Monaten bin ich zuletzt mehr als 200km in einem Rutsch gefahren, ich genieße das Fahren. Evis kleines rotes Auto taugt mir und Corinas CDs auch. Die Bundesstraße 20 ist nie langweilig. Mittlerweile kenne ich die Strecke gut. Ich bin sie in den letzten Jahren schon oft gefahren. Sie ist schön abwechslungsreich, radargepflasterte Ortsdurchfahrten, derzeit sogar mit Weihnachtsschmuck, schnurgerade wellige Abschnitte, weite Kurven, dazu Wald-durchfahrten und unzählige holprige Bahnübergänge, summa summarum echt lässig. Viele Tschechen fahren wie die Irren und würden etwaige Polizeikontrollen auf sich ziehen. Da darf ich auch ein bisschen zügiger fahren.
Ich mache einen kurzen Fotostopp in Blatná. Nach knapp 3 Stunden bin ich dann am Ziel: das Atletický stadion města Plzně im Pilsner Stadtteil Skvrňany. Ich sehe auf den ersten Blick, dass schon einige Marathonis ihre Runden ziehen, vier davon kenne ich. Eine tschechische Eigenheit ist es, Leuten, die recht lange brauchen würden, einen früheren Start zu ermöglichen. Mittels Chip-Zeitnehmung geht das problemlos. Vlastimil begrüßt mich herzlich und händigt mir Startnr. 20 aus, dafür bekommt er von mir € 17,- und ein Lächeln. Was ich bei 2°C und wenig Wind anziehen werde, habe ich schon festgelegt: lange Hose, 4 Shirts, 2 davon langärmlig, Handschuhe und warme Haube.
Etwa 30 Leute sind wir, die kurz nach 10h starten, in 4 Bewerben! 10km, 20km, 30km und Marathon. Recht überschaubar das alles. Keine Höhenmeter, kein Gatsch, keine Steine und Wurzeln, Labestelle alle 400m. Nur Tartanbahn. Ich weiß noch gut, was für eine Freude ich in Sevilla 2011 mit den letzten 300m auf der Laufbahn hatte.
Einige der „Kurzstreckler“ haben es richtig eilig, die sind dauernd beim Überrunden. Ich laufe die ersten km knapp unter 2‘30“/Runde. Das ändert sich, als ich anfangen muss, Nahrung aufzunehmen. Erst sind die Getränke klirrend kalt, dann kommt warmer Tee dazu, der bei +2°C Außentemperatur aber nicht lange warm bleibt.
Auf der Geraden vor der Zusehertribüne zieht es ein bisschen, da ist es mir fast zu kühl, so verschwitzt wie ich bin. Auf der Gegengeraden bringe ich meinen Wärme-haushalt aber wieder in Balance. Auf Nebenplätzen absolvieren junge Leute ihr Leichtathletik-Training: Hammerwerfen, Sprints, Hochsprung, Gymnastik – etwa eine Stunde lang. So ein strukturiertes Training zum Ausgleich fehlt mir definitiv. Daheim trainieren ist nur eine Notlösung: Keine Kraftgeräte, kein Hallenbad, nicht richtig Platz und Luft für Dehnungsübungen, keine Sauna und kein sich austauschen in geselliger Runde. Bei um die Null Grad draußen verschwitzt Tempo-Trainings, das ist für mich sehr unbefriedigend.
Nach 40min sind die ersten 10km-Läufer im Ziel. Es wird ruhiger auf der Laufbahn. Jetzt, da die Hetzer im Ziel sind, komme ich mit einigen Marathonis ins Gespräch, das ist ganz nett. Einige sprechen ganz brauchbares Deutsch. Viele der CZ-Multi-marathonis kennen mich bereits. Der Miroslav Vostrý (43), der gerade seinen 524. Marathon läuft, der 71jährige Miroslav Krumer aus Ostrau, Vendula Horváthová (43) mit ihrem langen, dicken, blonden Zopf im pinken Anorak, die läuft wie ein Uhrwerk. Ebenso gleichmäßig aber schneller und erst 32 Jahre: Ivana Vávrů.
Einmal mehr habe ich nach ca. 3 Stunden ein kleines Tief – die Oberschenkelmuskel schmerzen. Um halb 2 blinzelt ein paar Minuten lang die Sonne durch die Wolkendecke durch. Nach und nach beenden nun auch die Marathonis ihr Rennen. Ganz zum Schluss bin ich alleine unterwegs, ringsum wird zusammengepackt. Als ich nach 105 Runden noch 200m vor mir habe, bedeutet man mir „noch 1 Runde“. Das stimmt sicher nicht, ich fange mir jetzt aber keine Diskussion an. So bin ich der einzige Teilnehmer, der 106 Runden läuft. Dann sagt man mir, dass ich eh schon vor 200m im Ziel gewesen wäre. Ja, so sehe ich das auch.
Vlastimil überreicht mir meine Medaille und schießt ein Foto von mir. Ich bekomme 2 Finishershirts, vom Zátopek-Marathon heuer im Juli, und 2 Liter Coca-Cola mit auf den Heimweg. Es hat 4°C, es geht es ab unter die warme Dusche. Am Parkplatz komme ich noch mit einigen anderen Läufern ins Gespräch, dann wünschen wir uns Veselé Vánoce!
Auf dem Heimweg kann ich mich an der CD der isländischen Band „Of Monsters and Men“ gar nicht satthören, insbesondere an „Stuck In Gravity“ nicht.
Bevor es ganz finster wird, lege ich in Nepomuk noch einen Fotostopp ein. Kofola und 2 Dosen Pilsner Urquell kaufe ich in Budweis. Pilsner Bier aus Budweis!
Ohne jegliche Kontrolle überquere ich in Wullowitz die Grenze nach OÖ. In Linz tanke ich das Auto voll und eine halbe Stunde, bevor der österreichweite Hausarrest wieder schlagend wird, bin ich daheim.
Ich bin bestens gelaunt und froh, dass ich nach 6 Wochen Zwangspause endlich wieder einen Marathon laufen durfte. Evi setzt dem Tag noch die Krone auf, indem sie mir einen Apfelkuchen mit „201“ drauf serviert! What a lucky man I am!“
19 Marathonfinisher, (6w + 13m)
Siegerin: Blanka ŠINDELÁŘOVÁ 3h15‘24“
Sieger: Zbyněk VONDRÁK 3h03‘45“
ums Startgeld € 17 + € 115,- für den PCR-Test gab es eine Strecke mit
Null Höhenmetern, 212 Linkskurven + 212 Geraden,
2 Funktionsshirts, eine Finishermedaille am bunten Band
Verpflegung:
Coca-Cola, Iso, Wasser, Tee, Gebäck, Kuchen
Wurst/Käse-Brote, Kartoffelchips
Chip-Zeitnehmung
© Herbert Orlinger
Kofola, das ist seit 1960 die Antwort der ČSSR auf Coca-Cola.
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