Maratona do Rio de Janeiro
Anton Reiter beim Maratona do Rio de Janeiro

Erfahrung Rio de Janeiro Marathon: Immer eine Reise wert

Seit mehr als 5 Jahren nehme ich mir vor, endlich einmal beim weltberühmten Marathon in Rio de Janeiro teilzunehmen.

Im Jahre 2020 wäre es fast so weit gewesen, doch die Pandemie ist dann dazwischengekommen. Und heuer ist der Lauf binnen Stunden nach Öffnung der Registrierung ausgebucht. Ich bemühe mich trotzdem bereits ab Mitte März wochenlang um einen Startplatz über die Website maratonadorio.com.br. Zunächst ohne Erfolg.

Maratona do Rio 2024 – O maior festival de corrida de rua da America Latina

Über eine WhatsApp-Gruppe kontaktiere ich den Brasilianer Leonell, selbst Marathonläufer, der mir eine kleine Agentur namens SL Sports Tour Viagens empfiehlt. Thalys Cordeiro gelingt es, über eventos.com.br noch ein sog. VIP-Package aufzutreiben. Im Preis von 775 Euro sind neben dem ins Hotel zugestellten Startpaket auch 3 Nächte inkl. Frühstück in einem DZ im 4-Stern-Hotel Prodigy Santos Dumont, direkt am nationalen Flughafen gelegen, enthalten. Zudem stehen am Marathontag  Shuttlebusse zum nahen Start am Aterro do Flamengo bereit.https://vg07.met.vgwort.de/na/2f99c40ccfb049c4bc3b57060e44c0ef

Anreise nach Rio de Janeiro

Ich wähle ein Flex-Ticket zum Preis von knapp 1600 Euro (mit jeweils bequemer Beinfreiheit und daher 200 Euro Aufzahlung) hin mit Air France und zurück mit KLM. Los geht es am 29. Mai um 6:55 Uhr von Schwechat nach Amsterdam (mit KLM), dann weiter nach Paris und erst mit 2 h Verspätung auf einem 11 ½ - stündigen Flug mit Air France nach Rio. Nach einer gebuchten Taxifahrt von 35 Minuten checke ich um 3 Uhr morgens (die Zeitverschiebung zu Mitteleuropa beträgt 5 Stunden) im Astoria Palace direkt an der Copacabana ein. Ich will vor dem Lauf einige Tage im Zentrum der brasilianischen Küstenmetropole mit ca. 6,7 Mio. Einwohnern verbringen und das Flair sowie das Panorama an einem der berühmtesten Strände in der Welt genießen.

Rio de Janeiro Sightseeing

Im November 2005 verbrachte ich einige Tage in Rio, bin damals als jugendlicher Noch-nicht-ganz-Fünfziger täglich von der Copacabana zur Ipanamena bis nach Leblon am Radweg gelaufen.  Am Wochenende kaufte ich am Flohmarkt (mercado do pulgas) allerlei Mitbringsel ein, sogar einen mehrkarätigen Aquamarin und schöne Strandtücher. 100.000 Menschen waren auf den Beinen, bunt gemischt, Spaziergänger, Jogger, Radfahrer. Der Strand war so überfüllt, dass die Menschen im Wasser standen. Ich frage mich daher, als ich müde ins Bett falle, wie die Situation nun im brasilianischen Winter aussehen wird. Das Thermometer zeigt außen eine Lufttemperatur von angenehmen 22 Grad an.

Der erste Tag

Ich lege mich nur kurz hin, um 6:30 Uhr, als es dämmert, spaziere ich noch vor dem Frühstück raus zur zweispurigen Avenida Atlantica. Der zum Meer gewandte Fahrstreifen ist für den Verkehr gesperrt. Hunderte Läufer sind schon unterwegs, die eifrig für die kommenden Laufevents am 1. und 2. Juni trainieren. Rennen über 5, 10 und 21,1 km stehen auf dem Programm. Zudem eine Kombination aus 21,1 (am Vortag) und 42,2 km im Rahmen des Hauptbewerbs am 2. Juni. 45.000 Laufbegeisterte vor allem aus Brasilien haben sich für alle Disziplinen angemeldet, wie in einer am Flughafen erhältlichen Gratiszeitung als Headline zu lesen ist.

Rio de Janeiro Sightseeing

Ich bin diesbezüglich bescheiden geworden: noch vor 5 Jahren hätte ich die 63 km (Halbmarathon und Marathon mit jeweils einer eigenen Finishermedaille) locker mitgemacht, nun aber muss ich beide Knie und auch die Füße schonen. Die Abnutzungen sind so weit fortgeschritten, dass ich nur mehr mit Schmerzen vorankomme. Aber gewisse Ziele sind geblieben, nämlich noch ein sehr bescheidener Ausbau meines Marathonländerkontingents und auch in der Sammlerstatistik sollen noch einige Läufe dazukommen. Ich bin auf lange Öffnungszeiten von zumindest 6 ½ Stunden angewiesen. Die meisten Veranstalter haben Verständnis dafür, in Rio sind jedoch 6 Stunden das Zeitlimit.

Das Angenehme dabei sind für mich Reisen in ferne Länder, die mich beim beabsichtigten Ausbau der Länderpunkteanzahl von dzt. 90 immer weiter weg von Europa führen werden. Seit der Pensionierung im Mai 2018 geht das nun leichter, wenn – wie gesagt – die orthopädischen Probleme nicht wären. Aber man wird mir beipflichten, Rio de Janeiro ist auch ohne Marathonevent immer eine Reise wert.

Rio de Janeiro Sightseeing

Für den ersten Tag in Rio habe ich mir vorgenommen, nach 2005 wieder eine der Hauptattraktionen zu besuchen, nämlich zur Christusstatue (Christo Redentor) am 710 m hohen Corcovado hinaufzufahren. Gleich hinter dem Hotel befindet sich die Rua Copacabana. Bus 548 fährt in ca. 40 Minuten direkt zum Eingang der Talstation, die Fahrspesen betragen 4,30 Real (1 Euro = 5,77 bras. Real). Man gelangt über eine Serpentinenstraße mit dem Taxi oder zu Fuß nach oben. Die meisten Touristen nehmen aber die Zahnradbahn, die bis nahe unterhalb des Gipfels des Corcovado fährt. Über eine Treppe kommt man zur monumentalen inkl. Sockel 38 m hohen Christusstatue, die neben dem Zuckerhut als Wahrzeichen der Stadt gilt. Gestaltet wurde sie vom Bildhauer Paul Landowski, im Jahr 1931 erfolgte die Einweihung.

Rio de Janeiro Sehenswürdigkeiten

Der Panoramablick von oben ist berauschend, man sieht hinüber zum Zuckerhut, zu den berühmten Stränden Copacabana, Ipanema und Leblon. Der botanische Garten (Jardim Botânico) ist in der Nähe wie auch das Maracana Fußball Stadion. Einige werden sich noch an die Presseberichte erinnern, als im Dezember 1999 der österreichische Stuntman Felix Baumgartner vom rechten Arm der Statue aus mit dem Fallschirm absprang.

Rio de Janeiro Sehenswürdigkeiten

Den Rest des Tages verbringe ich zunächst bei einem Stadtbummel und noch einige Stunden an der Copacabana 100 m vom Hotel entfernt. Der Sand ist so fein, dass er überall eindringt. In den nächsten Tagen muss ich eine Lösung finden, denn meine 5 Jahre alte Garmin 235 lässt sich nicht mehr aufladen. Mein neuer Forerunner 165, den ich bei der VCM-Expo am 20. April 2024 ermäßigt gekauft habe, liegt verpackt zu Hause. Ein Ersatz-Ladekabel mit dem vierpoligen Anschluss werde ich in Rio sicher nicht bekommen, daher werde ich mich mit einer einfachen Uhr begnügen müssen. Ich will aber zuwarten, bis ich zum Marathonvillage morgen nachmittags kommen werde.

Rio de Janeiro Sehenswürdigkeiten

2. Tag in Rio

Eingeplant ist zunächst eine Fahrt mit dem Taxi zum Zuckerhut (Pão de Açúcar), ein 396 Meter hoher, steilwandiger Felsen auf der Halbinsel Urca am westlichen Eingang zur Guanabara-Bucht, auf dem ich im Jahre 2005 schon oben war – man kommt mit einer Seilbahn hinauf.  Aber ich verschiebe das Unterfangen auf den Montag nach dem Marathon, weil ich ja bis 12 Uhr auschecken muss und anschließend in das offizielle Marathonhotel Prodigy Santos Dumont nahe dem Start übersiedeln werde.

Rio de Janeiro Sehenswürdigkeiten

Schon während des Flughafenstransfers in die Stadt in der Nacht am 29. Mai sind mir die vielen Zelte am Aterro do Flamenco aufgefallen. Jetzt am Tage fahre ich wieder dort vorbei, Sponsoren und Laufvereine sind eifrig dabei, Stützpunkte für ihr Serviceprogramm einzurichten. Im Foyer des Hotels wartet bereits ein Betreuer von Eventos.com.br, der mir das bezahlte Marathon-Package mit Startnummer und einem Kurzarmshirt aushändigt. Es sind hunderte Läufer hier, die alle auf das Einchecken warten. Bereits um 14 Uhr beziehe ich mein DZ mit herrlichem Blick auf den Hafen (Marina da Gloria), zur nahen Marathon-Zeltstadt im Parque do Flamenco und im Westen bis zum Corcovado hinüber.

Rio de Janeiro Marathon Laufshirt

Das Wetter hat etwas umgeschlagen, es ist warm, aber bewölkt. Regnen wird es nicht, verspricht die Rezeptionistin, als ich mich um 15 Uhr auf dem Weg zum Marathon-Village mache. Das VIP-Package soll laut Website noch einige Goodies umfassen, die man uns offenbar vorenthalten hat wie z.B. eine Sonnenkappe und ein Leichtrucksack. Primär will ich aber schauen, was auf der Messe los ist. Den kurzen Weg finde dorthin ich zunächst nicht, ich hätte bequem in einem e-Fahrzeug wie am Flughafen für Gehbehinderte eingesetzt, den einen Kilometer direkt und gratis hinfahren können. So aber mache ich einen Umweg durch den Park und komme am Kunstmuseum und am Kriegsdenkmal der getöteten Soldaten im 2. Weltkrieg vorbei.

Das große Laufbuch der Trainingspläne

Rio de Janeiro Marathon

Der Zustrom zur Messe ist gewaltig. Tausende holen ihre Unterlagen ab. An den Verkaufsständen etwa bei Adidas stehen lange Schlangen. Die Preise für Zusatzshirts sind hoch bemessen, eine schicke hellblaue Unisex-Regenschutz- und Windjacke mit den drei roten Streifen kostet bspw. 599 Real, das sind 120 Euro. Aber gerade wegen dem trüben Wetter ist diese bei den Frauen heute sehr begehrt und wird auffallend häufig gekauft.

Ich kämpfe mich durch, den Leichtrucksack sehe ich nicht, denn er wird nicht extra angeboten, sondern nur bei der Abholung des jeweils bezahlten Startpakets ausgehändigt.

Rio de Janeiro Marathon

Ich nehme mir vor, morgen und auch nach dem Marathon nochmals hier vorbeizuschauen. Vielleicht kommt etwas in den Abverkauf, das mich interessiert.

Zurück zum Hotel, das direkt beim nationalen Flughafern liegt, fahre ich nun mit dem e-Fahrzeug, das direkt an der tiefer liegenden Hafenmauer auf einer asphaltierten Trasse in regelmäßigen Abständen verkehrt. Im ersten Stock des Flughafengebäudes entdecke ich einen Restaurantbetrieb, der um 39,99 Real (9 Euro) ein Menu zur Selbstbedienung anbietet. Man darf seinen Teller vollfüllen, wie man will, aber nur einmal. Wer nachholt, zahlt auf.

3. Tag in Rio

Rio de Janeiro Sehenswürdigkeiten

Das Büffetfrühstück im Prodigy übertrifft all meine Erwartungen. Man kann es sich auf der Terrasse im 5. Stock bequem machen, um 8 Uhr sind nur Läufer anzutreffen, die nicht für einen der anderen Läufe am 1. Tag angemeldet sind. Ich esse langsam und viel. In der Ferne sieht man gegen 9:30 Uhr auf einer der Straßen nach Norden nun Tausende sich voran bewegende Halbmarathonis. Ihr Lauftempo ist relativ hoch, sie wirken gut trainiert. Auch hier beim Frühstück sieht man nur junge Leute. Kein einziger dürfte 40 sein. Leicht wird es für mich morgen nicht werden.

Rio de Janeiro Sehenswürdigkeiten

Mein Plan für heute ist der Besuch des Maracanã Stadions, offiziell Estádio Jornalista Mário Filho genannt, welches bei seiner Fertigstellung im Jahre 1950 mit einem Fassungsvermögen von bis zu 200.000 Zuschauern das größte Fußballstadion der Welt war. Es war Schauplatz bedeutender brasilianischer Fußballklassiker und sorgte für historische Momente im internationalen Fußball. Auch das Finale der Weltmeisterschaft 2014 fand hier statt. Monumentale Ereignisse wie das tausendste Tor von König Pelé im Jahr 1969 ereigneten sich auch auf dem Rasen des brasilianischen Fußballtempels. Im Estádio do Maracanã spielen die bekannten Fußballclubs CR Flamengo und Fluminense FC aus Rio. Auch die brasilianische Fußball-Nationalmannschaft trägt hier regelmäßig ihre Heimspiele aus. Neben den Sportwettkämpfen war Maracanã bereits Schauplatz wichtiger Ereignisse wie die Auftritte von Madonna, der Rolling Stones, von Paul McCartney, Tina Turner-Shows und Camp-Messen von Papst Johannes Paul II. Heute hat das neue modernisierte Maracanã eine Gesamtkapazität von 78.838 Fans.

Rio de Janeiro Sehenswürdigkeiten

Man kommt in ca. 30 Minuten mit der Metro von Cinelandia aus (ca. 1 km vom Prodigy Santos Dumont Hotel entfernt) dorthin, die Ausstiegsstelle heißt auch Maracanã. Ich buche die komplette Maracanã-Tour wegen des Alters ermäßigt um nur 35 Real. Die im Juni 2017 wiedereröffnete Maracanã-Tour führt das Publikum hinter die Kulissen des berühmtesten Stadions der Welt. Den Besuchern wird eine Dauerausstellung geboten, die wichtige Exponate der brasilianischen Fußballgeschichte enthält.

Rio de Janeiro Sehenswürdigkeiten

Den frühen Nachmittag verbringe ich dann wieder am Strand und schaue anschließend nochmals zur Expo, die um 18 Uhr schließt. Meine Tochter hat mich gebeten, wenn ich fündig werde, ihr wie 2005 wieder ein Strandtuch zu besorgen. Die Auswahl bei den Strandverkäufern ist groß, ich nehme gleich 4 Stück, jedes um 30 Real (ca. 6 Euro). Gegen 17 Uhr spaziere ich zur Av. Nossa Senhora, wo in einer Seitenstraße der Obstmarkt gerade schließt. Unmengen von Früchten, auch Fischreste liegen am Boden, es stinkt. Ein Verkäufer spielt auf der Gitarre und singt ein Lied. Die Melodie berührt mich, vielleicht kann ich sie bei Gelegenheit im Internet wiederfinden auf ähnliche Weise wie man Fotos sucht. Ein Uhrenverkäufer bietet um 40 Real eine einfache Casio mit sehr kleinem Display an, die eine Stoppfunktion hat. Ich benötige einen Zeitmesser für den morgigen Marathon, um mich orientieren zu können. Daher kaufe ich die „relógio infantil“, die man sonst ja einem Kind schenkt.

Rio de Janeiro Sehenswürdigkeiten

Teilnahme am Rio-Marathon

Rio de Janeiro Marathon

Den Wecker stelle ich für 2 Uhr lokale Zeit (in Österreich ist es erst 9 Uhr abends). Frühstück gibt es bereits ab 3:10 Uhr. Ich bin einer der ersten dort. Ab 4 Uhr bringen uns (die mit einem VIP-Package ausgestattet sind) dann Kleinbusse zum nahen Start. Es wird argumentiert, dass dies auch aus Sicherheitsgründen passiert, zumal es ja um 4 Uhr noch Nacht in Rio ist und in den Parks sich allerlei zwielichtige Gestalten herumtreiben – viele Menschen schlafen unter Bücken, in Häusernischen, irgendwo, wo es trocken ist. Man braucht erst gar nicht die Favellas aufzusuchen.

Rio de Janeiro Marathon

Ich habe mir ein Singlet in den brasilianischen Farben gelb-grün besorgt, es wird ohnehin heute wieder warm werden. Zudem einen Trinkgurt mit einer 0,5 Liter Flasche umgebunden, in die ich eine Dose Red Bull gefüllt habe und in der Bauchtasche 5 Gels verstaut. Wer weiß, ob es an den Labestationen feste Nahrung und Isogetränke beim Lauf geben wird.

Es herrscht großes Gedränge am Start beim Jardins do Museu da República. Die Läufer sind insgesamt 8 Startblöcken zuteilt, nur die Elite startet um 5:00 Uhr. Es wird sorgsam auf die Farbe der Startnummer geachtet und darauf, dass jeder seinen Startblock betritt.

Gemessen an meinem Leistungsvermögen ist die von der Organisation an die VIP-Package-Inhaber zugeteilte grüne Startnummer nicht nur schmeichelhaft, sondern ein echter Vorteil, wenn man das Time-Limit von 6 Stunden mit einkalkuliert.

Rio de Janeiro Marathon

Es ist noch finster, erst in 2 ½ Stunden wird die Sonne aufgehen – und ich stelle fest, dass meine Casio-Kinderuhr keine funktionierende Beleuchtungsfunktion hat. Ich sehe also nur im Licht, wie spät es ist.

Wegen Überfüllung komme ich wie viele andere in den vollbesetzten grünen Korridor für fortgeschrittene Läufer (largada avançada: gemeint ist nicht das Alter, sondern die Schnelligkeit, das Leistungsvermögen) nicht mehr hinein. Erst als sich nach dem Startschuss dieser langsam leert, drängen sich alle draußen auf gleicher Höhe Wartenden durch das weggeschobene Sperrgitter hinein. Um 5:20 Uhr nehme ich das Rennen auf. Aber schon nach 500 m ist das Feld auf und davon, ich befinde mich unter einer Handvoll Nachzüglern, die mit einem Tempo von 8 min/km dahinschleichen.

Auf der homepage ist der Kurs mittels googlemaps komprimiert kartografiert, die Darstellung lässt sich nach Belieben vergrößern bzw. auch in anderen Formaten (.kmz und.gpx) herunterladen (siehe https://maratonadorio.com.br/42k-2024).

Der Marathonkurs führt zunächst vorbei am nationalen Flughafen und dem Porto do Rio, wo ich schon einmal mit einem Kreuzfahrtschiff vor Anker lag, nach Norden. Die erste Labestelle befindet sich knapp vor 3 km, es gibt Wasser in 0.25 Liter Flaschen. In einer Schleife bewegen wir uns nun nach Westen. Wegen der Dunkelheit sieht man die laut Karte sich entlang der Strecke befindlichen bedeutenden Gebäude, Plätze und Sehenswürdigkeiten nicht deutlich genug wie z.B. den Praça Quinze de Novembro (Platz des 15. Novembers) oder auch kurz Praça XV genannt, ein öffentlicher Platz in der der zentralen Zone von Rio de Janeiro ( Centro e Centro Histórico) als Teil der Orla Conde, einer öffentlichen Promenade an der Guanabara-Bucht. Schlecht im Dunkeln zu erkennen ist auch die Pira Olímpica, der Olympische Kessel von 2016 des amerikanischen Künstlers Anthony Howe, der die Sonne und ihre vom Wind angetriebenen Bewegungen darstellen soll.

Mit Entsetzen stelle ich fest, dass die Stoppfunktion meiner Casio-Kinderuhr nach 5 km bereits 51 Minuten anzeigt. Das kann nicht sein, denn nach 22 Jahren als Hobbyläufer unterwegs habe ich längst ein Gefühl für das eigene Tempo bekommen. Ich will zuwarten, ob die Uhr dann auf die Stundenanzeige überspringt, wenn es soweit ist.

Rio de Janeiro Marathon

Inzwischen haben mich Tausende überholt, die meisten von den Startblöcken hinter mir mit Ausnahme des letzten Korridors ziehen an mir vorbei. Ich bekomme auch Kritik zu hören, zwar verstehe ich kein Portugiesisch, aber es deutet darauf hin, was ich so weit vorne in der Gruppe zu suchen habe, wenn ich so langsam unterwegs bin. Bei mir geht es um das Zeitlimit, je weiter ich hinten starte, desto geringer sind die Chancen in die Wertung zu kommen.

Der Kurs mündet in eine 180 Grad-Schleife nach Osten, es geht auf einer wohl künstlich angelegten Halbinsel zum Museo do Amanha und dann wieder zum Boulevard Olympico zurück, der nach Norden verläuft. Wir kommen an der Etnias - Mural de Graffiti vorbei, doch in der Dunkelheit sieht man die berühmte Graffitimauer nur schemenhaft. Ich probiere erst gar nicht, diese zu knipsen.

Endlich gibt es nach Kilometer 7 auch ein Isogetränk, zur unserer Rechten befindet sich das Roda-gigante, das Yup-Star Rio, das größte Riesenrad Lateinamerikas, bevor es im Gegenverkehr bzw. in einer Begegnungszone durch einen Tunnel geht, wo die Menge einen gewaltigen Lärmpegel erzeugt. Inzwischen ist es hell geworden, der Streckenverlauf geht nun nach Süden, fast parallel zum vorhergehenden Abschnitt nach Norden, nur gegenüberliegend auf einer anderen Straße. Ich schaue auf die Uhr mit einem Display in der Größe eines halben Quadratzentimeters. Ist ein Einser vor der Minutenanzeige bei Kilometer 10? Ich hätte mir 1:25 h erwartet, aber nein, die Uhr dreht sich im Kreis, 28 Minuten werden angezeigt. Fluchen hilft nichts, ich muss die Uhr resetten, damit ich wenigstens und hoffentlich annähernd die genaue Uhrzeit bekomme. Das gelingt, 6:42 Uhr könnte stimmen. Zwar werden die zurückgelegten Distanzen angezeigt, aber nicht die bisher verstrichene Bruttozeit bei Kilometer 5 und nun 10. Somit wäre ich gerade noch in der Zeit für 6 Stunden.

Rio de Janeiro Marathon

Nach der 10 km-Marke gibt es wieder eine Wende im 180 Grad-Modus, anschließend verläuft der Kurs weiter nach Süden. Nach Kilometer 12 kommt es zu einer mehrmaligen Begegnungszone, bei der Versorgungsstelle wird wieder Gatorade ausgegeben. Es kommt die Sonne raus, ich spüre, wie es nun deutlich wärmer wird. Und ich nehme wahr, dass um mich herum nur Langsame unterwegs sind, zwar vielfach deutlich jünger, aber mit Übergewicht, die sich beherzt einen Marathon zumuten und ihr Bestes geben. Ich bin längst nicht mehr in der Lage, ihnen zu enteilen. Keine guten Aussichten für anstehende Vorhaben, was weitere Marathons betrifft. Aber so wie sie bleibe auch ich im Rennen vollmotiviert, diesen Lauf, wenn auch langsam, zu beenden.

Rio de Janeiro Marathon

Bei Kilometer 15 kommen wir am gegenüberliegenden Zielbereich vorbei, der Sieger dürfte längst gefinisht haben. Die eben Einlaufenden werden mit lautem Applaus empfangen. In meiner Umgebung haben sich nun kleinere Positionskämpfe entwickelt. Ein junger 100 kg-Mann setzt immer wieder an, mich zu überholen. Ebenso ein Pärchen um die 40, wobei die Frau andauernd hinter ihrem Begleiter zurückfällt und dieser auf sie warten muss.

Im Stadtviertel Botafogo geht es leicht absteigend weiter nach Süden. Ein Läufer um die 50 mit einem gelben Shirt, auf dem auf der Rückseite der Aufdruck „100 Maratonas“ prangt, überholt die Gruppe und mich energisch. Soll ich ihm wenigsten nachrufen, wenn ich ihm schon nicht folgen kann, dass ich in 22 Jahren mehr als 4 ½ mal so viele Marathons verbuche, in den ersten 15 Jahren in der Regel (deutlich) unter 5 h gefinisht habe. Nein, er würde mich nicht verstehen, und wenn, ich könnte ihm nichts entgegensetzen. Es geht um die Gegenwart, die schaut bei mir sportlich düster aus.

Rio de Janeiro Marathon

Bei Kilometer 20 werden Gel-Päckchen ausgegeben, ich schnappe mir gleich drei Stück. Den Halbmarathon erreiche ich nach meiner Casioanzeige um 8:12 Uhr – das wäre noch unter drei Stunden. Der Marathonkurs führt nun durch einen ca. 1 km langen Tunnel, der den Stadtteil Botafogo mit der Copacabana verbindet. Und nun spielt es sich im wahrsten Sinn des Wortes ab: Tausende Läufer kommen der kleinen Gruppe von Nachzüglern, in der ich mich befinde, entgegnen. Ich könnte ununterbrochen knipsen, wenn ich noch weitere klare Aufnahmen im Sonnenlicht für Belegzwecke benötigen würde. Dieser Streckenabschnitt entlang der Prachtstrände Copacabana, Ipanema und Leblon ist das Highlight des Rio Marathons schlechthin.

Rio de Janeiro Marathon

Doch meine Vorfreude wird jäh getrübt, als nach dem Forte de Copacabana bei Kilometer 26 plötzlich die Schlussfahrzeuge nachkommen. Offiziell gibt es keine Cut-Offs, ich beschleunige das Tempo und entwische dem Besenwagen. Doch als ich zur Wende bei Kilometer 29 komme, wird dort bereits abgeräumt. Die nächste Zeitmessung ist am Rückweg bei Kilometer 32. Diese ist noch im Betrieb, aber man beginnt die metallenen Sperren und Bänder abzubauen bzw. zu entfernen, obwohl noch viele Läufer hinter mir sind. Das kann mit dem Tourismus zu tun haben, der ja an einem Sonntag besonders ausgeprägt ist. Wie damals im Jahre 2005 kommen uns nun Spaziergänger mit Hunden, Walker, Jogger, Skater u.a. in Scharen entgegen, die sich mitten auf der nach 3 Stunden schon teilweise geräumten Marathonstrecke an der Copacabana befinden. Manche schauen grimmig drein und fühlen sich durch die Läufer eher gestört. So kommt es, dass ab Kilometer 31 an den Versorgungsstellen keine Wasservorräte mehr zu finden sind, die Flaschen werden einfach ausgeleert. Ich begebe mich zu einem Kiosk und kaufe eine Colaflasche.

Rio de Janeiro Marathon

Knapp vor Kilometer 37 hole ich einen Amerikaner ein, der ein Marathon Maniacs Shirt trägt. Seit 2009 bin ich auch dort eingeschrieben. Diese Läufervereinigung hat inzwischen 10.000 Mitglieder, die täglich mehr werden. Den Platinum-Level erhielt ich 2013 für 55 (inkl. 1 Ultralauf über 50 km) und erneut 2017 für 53 absolvierte Marathons (ohne Ultraläufe). Der Kollege ist unbesorgt, dass wir nicht mehr in die Wertung kommen könnten, denn sie würden gewiss länger als 6 Stunden offen haben, meint er. Aber er hat noch mehr Power und lässt mir das Nachsehen.

Rio de Janeiro Marathon

Es zieht sich gewaltig. Nach dem Tunnel scheint mir die Sonne ins Gesicht, auch der Anstieg ist spürbar. Die Messstelle bei Kilometer 40 ist noch in Betrieb, ich passiere diese sehr bewusst, einer der Techniker nickt und gibt zu verstehen, dass alles ok sei. Endlich komme ich in den Korridor, der ins Ziel führt. Wieder einmal habe ich das Gefühl, dass der Marathon um einiges länger als 42,195 km ist. Aber da ich keine GPS-Uhr am Handgelenk habe, ist das nur meine Einbildung. Auf der die Trasse überführende Brücke im weitläufigen Parco do Flamengo applaudieren Dutzende Italiener, die offenbar noch auf hinter mir liegende Landsleute warten und „Auguri“ rufen. Einer begibt sich an meine Seite und möchte mich in langsamen Lauftempo ins Ziel begleiten. Er freut sich, dass ich ihm auf Italienischich antworte – das komme von vielen Jesolourlauben mit der Familie über Jahrzehnte. Ich überquere die Ziellinie, der Italiener macht von mir ein Foto. Ein Ordner wiest mich darauf hin, dass die Ausgabe der Medaille 500 m weiter erfolgt. Endlich ist es soweit, die heiß ersehnte Medalha da Maratona do Rio 2024 halte ich in Händen. Ein Prachtstück, 30 dkg schwer und wohl mit einem hohen Anteil an Messing. Wieder ersuche ich einen Ordner, mich zu knipsen. Auf der Brücke und im Ziel befindet sich ein offizieller Fotodienst. Die Bilder werde ich bestellen, sobald sie verfügbar sind.

Rio de Janeiro Marathon

Aber die Erschöpfung ist groß. Es sieht so aus, dass ich nicht mehr hitzetauglich bin. Denn sobald es warm/heiß wird, lassen meine Kräfte jäh nach. Wenn der internationale Marathontourismus so weiterwächst, wird man vielleicht mehr auf all die Agers Bedacht nehmen müssen und ihnen bessere Konditionen einräumen, also eine Stunde Überzeit oder einen Frühstart. Schließlich sind sie eine zahlungskräftige Gruppe, die die Umwegrentabilität erhöhen.

Rio de Janeiro Marathon Medaille

Ich begebe mich in den Schatten, ruhe mich aus und spaziere anschließend mit einer Dose Bier (Brahma Chopp) zum nahen Strand. Allen Finishern wird ein Obstpaket mit Orangen und Bananen ausgehändigt.

Rio de Janeiro Marathon

Kurzes Fazit

Rio de Janeiro Marathon

Die Teilnahme am Rio Marathon ist fast ein Muss für einen Ländersammler, obwohl es in Brasilien Dutzende andere Rennen über 42,195 km gibt. Doch etwa auch in Sao Paolo oder Porto Alegre bestehen Zeitlimits, die aber in der Regel großzügig interpretiert werden. Als Manko finde ich, dass man auf Anfragen auch auf Portugiesisch beim Veranstalter so gut wie nie eine Antwort bekommt, das nervt und sorgt für Unverständnis. Es könnte aber damit zu tun haben, dass der Andrang heimischer Läufer so groß ist, dass man auf internationale Teilnehmer nicht wirklich angewiesen ist.  Empfehlen würde ich den Lauf aber trotzdem. Rio de Janeiro ist immer eine Reise wert.

Alle Informationen zum Rio Marathon

Fotos: © Anton Reiter

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