Bericht zur Kaukasus Marathon Challenge 2024 (14.-21.9.), 3. Destination – Rustavi Park Marathon (20.Sept. 2024, Tiflis, Georgien).
Wer in der Gruppe Müdigkeit verspürt, der kann sich auf der geplanten Rückfahrt im „Komfortbus“ über die Berge nach Tiflis am heutigen späten Nachmittag versuchen sich auszuruhen. Tagsüber steht ein dichtes Informations- und Besichtigungsprogramm in Jerewan auf der Tagungsordnung.
Besuch des Völkermorddenkmals am Zizernakaberd
Nach dem Frühstück bringt uns der gecharterte Tourbus (wie erwähnt mit gröberen technischen Mängeln: kaputte Klimaanlage, vielfach nicht mehr verstellbare Sitze, ausgeleierte Stoßdämpfer, dauerversperrtes WC an Bord, aber WLAN-Empfang immerhin in Georgien) zum Genozid Mahnmal westlich der Hauptstadt Jerewan. Zizernakaberd ist ein Denkmalkomplex auf dem gleichnamigen Hügel in Jerewan zum Gedenken der Opfer des Völkermords an den Armeniern 1915. Eine einheimische Reiseführerin nimmt sich 2 Stunden Zeit, um die Gruppe über die Geschehnisse aus Sicht der offiziellen Geschichtsschreibung von Armenien zu informieren. Der Völkermord an den Armeniern begann inoffiziell mit der Verhaftung von 250 armenischen Intellektuellen durch türkische Exekutivbeamte am 24. April 1915. In den nächsten Jahren führten eine Reihe systematischer Deportationen und Massenhinrichtungen sowie vorsätzliche Hungersnöte zum Tod von mehr als einer Million Armeniern.
Während des türkischen Unabhängigkeitskrieges nach dem Ersten Weltkrieg, der von türkischen Nationalisten durchgeführt wurde, kam es weiterhin zu Massakern und ethnischen Säuberungen an armenischen Überlebenden. Dieser Völkermord setzte der mehr als zweitausendjährigen armenischen Zivilisation in Ostanatolien ein Ende, liest man sinngemäß in der englischsprachigen Holocaust Encyclopedia.
Die türkische Regierung hingegen sowie weite Teile der Öffentlichkeit und der Wissenschaft in der Türkei bestreiten seit Jahrzehnten mit Nachdruck, dass es sich um einen Völkermord handelte. Stattdessen wird behauptet, die Opfer seien eine Folge eines von den Armeniern initiierten Bürgerkriegs gewesen. Armenische Gruppen hätten laut dieser Sichtweise den Ersten Weltkrieg genutzt, um gegen das Osmanische Reich zu rebellieren und dabei zahlreiche Massaker an der türkischen Bevölkerung verübt. Angesichts dieser Bedrohung habe das Osmanische Reich seine Existenz gefährdet gesehen und aus militärischen Gründen die Umsiedlung der gesamten armenischen Bevölkerung beschlossen. Am 27. Mai 1915 sei ein Deportationsgesetz erlassen worden, das die Umsiedlung der Armenier in Gebiete des heutigen Syrien oder Irak vorsah, wobei Entschädigungen angekündigt wurden. Durch die Wirren des Krieges, darunter Massaker, Angriffe, Hunger und Krankheiten, seien etwa 300.000 Armenier ums Leben gekommen. Ein gezielter Befehl von Talât Pascha, Innenminister und Großwesir des Osmanischen Reichs sowie Führer der Jungtürken, oder aber dem Komitee für Einheit und Fortschritt zur Tötung der Armenier habe jedoch nicht existiert. Im Gegenteil, es sei geplant gewesen, die deportierten Armenier zu schützen und zu versorgen, wird auf türkischer Seite behauptet.
Im Bild: Gedenkstätte am Tsitsernakaberd in Jerewan - der Denkmalkomplex besteht aus drei Elementen: einem 44 Meter hohen Obelisken, zwölf Pylonen rings um die ewige Flamme und einer 100 Meter langen Mauer mit den Namen der Städte und Dörfer, in denen die Opfer des Massakers wohnten.
Abgesehen von Armenien hatten bisher 20 Staaten den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915 anerkannt. Österreich ist im Jahre 2002 durch einen von den Grünen eingebrachten Entschließungsantrag im Nationalrat hinzugekommen. Anlässlich des 100. Jahrestages des Genozids protestierte die Regierung in Ankara gegen die Verwendung des Begriffs „Völkermord“ in einer Erklärung des österreichischen Nationalrats Mitte September 2015 und berief ihren Botschafter aus Wien zurück. Die Stellungnahme aller sechs österreichischen Parlamentsparteien zum Völkermord an den Armeniern führte zu einer schweren diplomatischen Krise zwischen beiden Ländern.
In der Gruppe wird den Ausführungen der armenischen Reiseführerin wenig Beachtung geschenkt, die meisten schauen sich im weiten Areal der 1967 eröffneten Gedenkstätte selbst um und fotografieren. Bemerkenswert ist vielleicht, dass der französische Präsident Emmanuel Macron vor Jahren dort einen Baum gepflanzt hat, der seither kaum gewachsen ist. Juhani, der Finne scherzt und meint: „Macron isn't exactly a big guy either…“
Mutter Armenien Statue
Hoch über der Stadt thront die Mutter Armenien Statue, das Wahrzeichen Jerewans. Rund um die Statue befindet sich armenisches Kriegsgerät, wie Panzer und Raketen. Der Sockel der Staue beherbergt das Armenische Militär Museum.
Für den Besuch des Holcaust Museums bleibt keine Zeit, um 10 Uhr 30 fahren wir ab – die Tourplanung sieht den Besuch einer Kognakproduktionsfirma und anschließend einer großen Markthalle mit regionalen Produkten vor.
Leichter Regen hat eingesetzt. In der Gruppe atmet man auf – hoffentlich bleibt das Wetter morgen beim dritten und letzten Marathon in Tiflis auch so kühl. Bei den ersten beiden Läufen in Baku am Montag (16.9.) und gestern in Jerewan (18.9.) hatte es bis zu 28 Grad C.
Besuch eines Weinbrandherstellers in Jerewan
Der Bus parkt kurz vor dem Gebäude der seit 1877 existierenden Noy Brandyfabrik, um uns aussteigen zu lassen. Mich persönlich interessieren schwere alkoholische Getränke wie Whisky oder Brandy überhaupt nicht, ich muss aber in der Gruppe bleiben, damit ich die Weiterfahrt nicht verpasse. Der Hintergedanke ist wohl, den Besuchern im Shop nach der Führung etwas zu verkaufen.
Allerdings ist die Führung dann sehr lehrreich, man erfährt, wie lange Wein in Fässern reifen muss, wie Kognak (auf Lizenzbasis) hergestellt wird und dass die Produkte, vor allem der Weinbrand unter der Marke „Ararat“ der Firma Noy zu 90% in den Export gehen.
Im Keller lagert hundertjähriger Wein in Eichenfässern, die man übrigens von Serbien beziehe, erläutert die zu Noy gehörige Dame, die uns führt. Im Programm ist eine Kognakprobe vorgesehen, ich kann mich nicht erinnern, wann ich zu ersten und letzten Mal dieses destillierte Getränk konsumiert habe. Die Dame demonstriert, wie man das Glas halten und schwenken muss – um den edlen Tropfen entsprechend „geschüttelt“ in den Gaumen gleiten zu lassen. Der Kognak ist so stark, dass ich es bei einem Minischlückchen belasse – dafür mich aber an den auf einen Teller servierten Melonen- und Apfelstücken für die Gruppe am Tisch bediene.
Auf zum GUM-Markt in Jerewan
Einer der lebhaftesten Orte in Jerewan ist der Gum-Markt in der Nähe des Handelszentrums von Tashir, das während der Zeit der ehemaligen Sowjetunion eröffnet wurde. Dieser Markt, erzählt die Reiseleiterin, sei ein wahres Paradies für Feinschmecker, die sich an traditionellen armenischen Spezialitäten erfreuen möchten. Hier findet man alles, von Trockenfrüchten wie getrockneten Birnen und Pflaumen bis hin zu lokalen Delikatessen wie Churchkhela, auch Sujuk genannt.
Neben diesen süßen Leckereien werden auch deftige Speisen wie Lammkäse und Tolma angeboten. Trotz der verlockenden Vielfalt auch an Frischobst sollte man jedoch auf die Preise achten, die für getrocknete Früchte und andere Produkte oft hoch ausfallen – getrocknete Kakis kosten beispielsweise bis zu 6000 AMD pro Kilogramm (1 Euro = 432,69 armenische Dram).
Ich stelle fest, dass der Marktbesuch schnell zur Herausforderung werden kann, da die Verkäufer freundlich, aber bestimmt versuchen, ihre Ware anzubringen. Eine ältere Frau rennt mir nach und will mir eine getrocknete Frucht unbedingt zum Kosten anbieten. Es ist dann schwer, ohne Kauf wieder zu gehen, da man so herzlich umworben wird. Aber nicht nur ich bin vom Markt sehr beeindruckt, man kann dort die authentischen Aromen Armeniens erleben – sei es durch die Vielfalt des Angebots oder bestimmte Spezialitäten wie das beliebte Gebäck Gata, das aus Mehl, Butter und einer süßen Walnussfüllung besteht. Gata ist nicht nur köstlich, sondern auch reich an Kalorien – ein wahres Genussstück für besondere Momente, sagt Parvaneh, die gebürtige Iranerin, die sich für zwei Marathons auf der Tour eingetragen hat.
Thomas Godlewsky gibt seine gesamten Münzen einer Frau vor dem Markt, es war als Spende gedacht. Er bekommt ca. 8 kg Zwetschken (ungewollt!) aus einem Eimer in einen großen Plastiksack gefüllt. Aber wohin mit ihnen? Die Kollegen stellen bald fest, dass fast alle unreif sind.
Die Gattin von Ritchie Holmes kauft sich im Markt ein tönernes Souvenir, ich einen Kühlschrankmagnet mit dem Foto des Berges Ararat, der eigentlich zur Türkei gehört. Ich habe es in früheren Jahren leider verabsäumt, eine Wandertour (etwa bei Schulz Reisen) dorthin zu buchen. Ich müsste mir heutzutage beide Knie ersetzen lassen wie Mr. Holmes, um nach den Aufstieg ohne Sänfte wieder hinunter zu kommen.
Fast jeder kauft irgendeine Kleinigkeit im Gum-Markt, meistens etwas Essbares. Aber das Programm sieht vor, dass wir nun zum Sewansee fahren, der von Jerewan ca. eine Autobusfahrtstunde entfernt ist.
Lunchtime am zweitgrößten Gebirgssee der Welt
Ursprünglich hätte der Marathon wie schon 2018 hier stattfinden sollen, aber wie Ziyad uns bei der Anreise vorgestern nach Armenien im Bus mitteilte, musste die Organisation einen Ersatzort suchen. Die Gründe für die Ortsverschiebung direkt nach Jerewan sind anhaltende Bauarbeiten an der Uferstraße. Im Nachhinein ist niemand untröstlich, alle in der Gruppe haben sich den Länderpunkt für Armenien gestern redlich erlaufen. Nun aber kündigt Lili, die georgische Mitorganisatorin an, dass wir beim Lunch eine Portion köstlichen Fisch aus dem See serviert bekommen werden. Da kommt Freude auf. Auch mein Magen knurrt schon, es ist bereits 15 Uhr.
Der Sewansee erscheint so groß, dass man glaubt, man sei am Meer. Auf Wikipedia wird ausgeführt, dass er mit einer Fläche von 1272 km², über 78 km Länge und bis zu 56 km Breite der größte Süßwassersee Armeniens und des Kaukasus ist. Mit einer Tiefe von bis zu 79,7 m und einem Volumen von 37,9 km³ liegt er auf 1900 m Höhe und ist damit einer der größten Hochgebirgsseen der Welt.
Der See befindet sich in der Provinz Gegharkunik im Osten Armeniens, nahe der Grenze zu Aserbaidschan. Umgeben wird er von den Gebirgszügen Sewan, Wardenis und Gegham, die zum Kleinen Kaukasus gehören. Die Küstenebene im Südosten, bis zu 17 km breit, wird landwirtschaftlich genutzt, vor allem für den Anbau von Getreide und Obst. Zwei Halbinseln, Artaniš und Noratuz, teilen den See in den größeren südöstlichen und kleineren nordwestlichen Teil.
Rückfahrt nach Tiflis nach dem Lunch am Sewansee
Der Fisch aus dem Sewansee schmeckt tatsächlich hervorragend, zunächst fragt keiner in der Runde den Kellner, um welche Art von Fisch es sich handelt. Ich hebe die Hand und deute zu ihm. Lili übersetzt – „it is a trout“. Daher der leicht süßliche Geschmack, wie man es von Forellen kennt. Ich gönne mir eine zweite Portion, vornehme Zurückhaltung ist bei der Tour längst nicht mehr angebracht, wurde doch schon einige Male statt ein Frühstück, Mittag- und Abendessen (nur) ein kaltes sparsames Lunchpaket ausgehändigt.
Wir sprechen über berühmte Armenier – Charles Aznavour, der von den Franzosen eingebürgerte Chansonier, Liedtexter und Schauspieler, wird erwähnt. „Warum haben die Armenier so lange Nasen?“ fragt Peter, der immer lustige Finne. Lili, die Georgierin antwortet schlagfertig: „because they ly so much …“ Ob Ernst oder Spaß, wie dem auch sei. Vielleicht steckt ein Körnchen Wahrheit dahinter?
Nun fahren wir zurück, uns erwartet dieselbe Prozedur an den beiden Grenzstationen wie gehabt. Aber wir sollten nicht mehr 7, sondern vielleicht nur 5 Stunden von hier aus benötigen. Der Autobus braucht alsbald nicht mehr PS-Stärke, sondern gute Bremsen: es geht kontinuierlich abwärts, von 2000 Höhenmeter auf 400 hinunter. Der Fahrer ist erfahren, statt die Bremsen zu überhitzen, hat er einen niedrigen Gang eingelegt, die Motorbremse ist die sicherste, das lernt man in der Fahrschule. Ich frage Ricky, den Dänen, der vor mir sitzt: „If the bus driver had a heart attack, could you quickly move forward and take the wheel“? „That's what Ziyad should do, he's sitting right behind him…“ So können wir nur hoffen, dass wir heil die Bergabfahrt überstehen – retten würde uns wohl nur ein Wald neben den Abhängen, wenn der Bus ohne Fahrer ins Rollen käme.
Alles geht gut, wir erreichen die armenische Grenze hin zu Georgien. Entgegen bei der Einreise dürfen wir diesmal das gesamte Gepäck im Bus belassen, als wir zur Kontrollstelle kommen. Dann aber beginnt die Prozedur auf der anderen Seite von neuem – Lili versucht mit ihren georgischen Landsleuten zu diskutieren, es hilft nichts: „Gepäck ausladen!“ lautet die Order. Es wird geröntgt und auch der Reisepass erneut gestempelt. Georgien möchte Mitglied der Europäischen Union werden, man könnte erwarten, dass EU-Bürger „bevorzugt“ behandelt werden, aber Irrtum.
Erst nach 21 Uhr erreichen wir das für zwei Nächte von Z Adventures gebuchte Hotel in Tiflis. Das deutsche Ehepaar Sagasser empfängt uns vor dem Eingang. Mario ist der Obmann des 100 Marathon Club Deutschland, hat bereits 100 Länder auf der Marathondistanz sozusagen „erlaufen“. Doris, seine Gattin möchte morgen ihr Kontingent von 96 um einen Punkt erweitern. Allerdings kennen die meisten in der Gruppe die Sagassers (noch) nicht.
Yvonne, eine US-Lady und Chef-Stewardess bei United Airlines mit Zweitwohnsitz in Hongkong, die bei Langstreckenflügen für First Class Passagiere zuständig ist, lädt zu einem Umtrunk in einem nahen Lokal ein. Ich kündige mein Kommen an, möchte aber vorher etwas essen. Von Lunchpaketen werde ich nicht satt. Rich Holmes ist dann auch da, er kündigt an, morgen nicht zu starten. Er müsse sich schonen, weil er sich infolge einer kaum überstandenen Diarrhö noch schwach fühle.
3. Marathontag im Rustavi Erholungspark am 20. September 2024
Weil wir schon um 7 Uhr abfahren, gibt es kein Frühstück – die Lunchbox lasse ich im Zimmer. Brot, Käse und Schinken habe ich gestern in einem Sparladen in Jerewan am Abend gekauft, Wasservorräte sind ohnehin im Zimmer sowie ein Wasserkocher, Teebeutel und Kaffee in kleinen Briefchen. Und Bananen habe ich auch.
Die Fahrt zum Start dauert rund 40 Minuten – der Verkehr in Tiflis um diese relative frühe Zeit am Morgen ist überschaubar. Als wir aus dem Bus steigen und ca. 100 m zum Startareal kommen, sind schon weitere Helfer zugegen, auch die Labestation ist aufgebaut.
Heute ist es kühl im Vergleich zu den Vortagen. Ich beschränke mich mit einem Singlet, nämlich das Country Marathon Clubshirt, inzwischen gewaschen und getrocknet, das ich am Montag in Baku getragen habe. Die Kollegen kündigen an, heute bei diesen idealen Wetterbedingungen schnellere Finisherzeiten erzielen zu wollen. Das hoffe ich auch, aber warten wir ab.
Ziyads hilfreiches Motto ist stets „Take your time“ – doch keiner möchte Letzter im Feld werden, auch die großzügige 7 Stunden Öffnungszeit will jeder, auch die Allerlangsamsten, unterbieten. Dennoch bin ich und andere gleich am ersten Tag in Baku bei großer Hitze zeitlich darüber gelegen, auf die Toleranzgrenze hofft man dann aber doch.
Ich schätze, dass der ausgeruhte Mario Sagasser gemeinsam mit dem schnellen Ricky Andersen unter 4 Stunden finishen könnte. Bei den Frauen sind die Dänin Lone Friis und Sally Shreeves aus NYC die erklärten Favoritinnen.
Doris Sagasser, 2. von rechts (neben Jay Johnson) ist bereit für ihren 97. Länderpunkt.
Die asphaltierte bzw. mit Betonplatten ausgelegte Rundstrecke um den künstlich angelegten Rustavi-See, gespeist mit dem Wasser des Kura-Flusses, ist 10x in U-Form zu bewältigen. Vom Start im Uhrzeigersinn sind bis zur Wende ca. 2,1 km zurückzulegen, dann geht es auf der gleichen Trasse wieder zurück.
Wie am Mittwoch in Jerewan sind auch hier zahlreiche Walker und Läufer beim Morgensport. Es ist ein beliebtes Ausflugsgebiet im Nahbereich der 1,4 Mio. Einwohner zählenden Hauptstadt von Georgien. Übrigens ist mir aufgefallen, dass sich die Schriften dort und nun hier in Georgien zwar scheinbar ähneln, aber doch total verschieden sind. Die Alphabetschrift des Georgischen hat 33, das Armenische 39 Buchstaben. Es gibt bei beiden Schriften keine erkennbaren Parallelen zum lateinischen Alphabet – das habe ich so erlebt, als ich in der Nacht zum Hotel in Jerewan zurückfinden musste.
Ich bin voller Zuversicht, heute weiter vorne zu landen. Und tatsächlich kann ich den Powerwalker Thomas Godlewsky auf der ersten Runde 100 m abnehmen – er bleibt hinter mir. Aber wie lange werde ich ein Gehtempo von 8 bis 8:20 min/km durchhalten können? Leider nur 2 Runden, dann verliere ich an der Hauptlabe 20 Sekunden und Thomas sowie auch Parvaneh mit Cherie eilen davon. Die Kollegen trinken entweder nichts oder haben eine andere Taktik.
Weil wir ja keine durchgehenden Runden laufen, sondern sich ca. 20 m vor dem Start- und Zielbereich auf einer Brücke gegenüberliegend der Wendepunkt mitr einer Versorgungsstation befindet, kommt es andauernd zu Begegnungen. Man sieht einander, winkt, kommentiert, bringt eine Pointe an. Auch Doris hat sich heute viel vorgenommen: sie liegt bald eine gesamte Runde (4,2 km) vor mir.
Mario, ihr Mann liefert sich unterdessen ein spannendes Duell mit Ricky Andersen. Die beiden liegen die meiste Zeit gleichauf und unterhalten sich bei einem Tempo von ca. 5:30 min/km. Mario im schwarzen Singlet verbucht mehr als 1000 Marathons, Ricky (mit Rübezahl-Bart, 50 Jahre alt) ist dagegen ein Novize, vor allem was Länderpunkte betrifft.
Nun wird es zusehends wärmer, einige Herren im Feld haben sich bereits ihrer Shirts entledigt, wie Ricky oder Raoul, der Finne und Steven Fuller (bereits 75!).
Eine, die völlig unbeirrt ihre Runden dreht, ist Lonne Friis, die schon bei den beiden vorangegangenen Läufen immer die schnellste Frau war.
Mir geht’s deutlich „schlechter“, ich merke, dass Thomas gehen Ende des Marathons 1 ½ Runden (ca. 6,4 km) voranliegt – er also nach der Halbdistanz mit zumindest ca. 9:30 min/km konstant weitermarschiert ist. Auch Parvaneh (im weißen Shirt), die ich immer „kontrolliert“ habe, liegt eine halbe Runde vorne. Wir gleichen bei Kilometer 40 die Laufzeit ab, sie ist am Rückweg nach der Wende 8 Minuten vorne.
Traurig aber wahr – ich werde wie in Baku auch in Tiflis Letzter. Irgendetwas lief da schief. Der Clou ist aber der, nämlich auf den ersten 10 km einen kleinen Vorsprung herauszulaufen bzw. zu walken. Und den muss man mit mehr Kampfgeist verteidigen. Im Unterbewusstsein weiß man ja, dass man auch mit über 7 h in die Wertung kommt. Diese Gewissheit verleiht nicht Flügel, sondern eher Trägheit.
Doris Sagasser, der ich bspw. bei der Zentralasientour im Oktober 2023 In Tadschikstan 50 Minuten „abgenommen“ habe, finisht heute sub 6 Stunden. US-Veteran Ritchie Holmes war erst gar nicht im Rennen, ein Länderpunkt wiegt per se mehr als eine „schlechte“ Laufzeit, denke ich.
Inzwischen hat der Autobus bereits die voranliegenden Finisher zum Hotel zurückgebracht, nur einige wenige, darunter Mario mit Doris, Thomas Bentsen, Paravaneh, Cherie Pompeio und Ziyad und ich sind noch da.
Galadinner in einem Restaurant außerhalb von Tiflis
Die Abschlussfeier findet eine gute Fahrstunde in einem Lokal außerhalb der Hauptstadt von Georgien statt. Es ist Freitagabend, der starke Wochenendverkehr führt zu Staus. Einige im Bus murren, warum wir nicht irgendwo in der Stadt essen können, wozu diese weite und lange Fahrt?
Lili, die Mitogranisatorin, begründet dies mit dem Auftritt einer Tanzgruppe und dem besonderen Essen, das auf uns warten würde. Zudem werden die drei Erstplazierten jeder Altersgruppe oder wenn weniger Starter vorhanden waren (wie bspw. beim 10 km-Lauf oder dem Halbmarathon), auch nur eine Person mit einer besonderen Medaille, die die Grenzen aller drei benachbarten Kaukasusländer farblich darstellt, geehrt.
In der Altersgruppe über 70 Jahre werde ich so Zweiter hinter Steven Fuller und vor Rich Holmes, der ja den Marathon in Tiflis wegen körperlicher Beschwerden auslassen musste.
Mein kurzes Fazit
Die nach 2018 nunmehr zum zweiten Male von Z Adventures veranstaltete Marathon Challenge in den Hauptstädten der kaukasischen Länder Aserbeidschan, Armenien und Georgien eignet sich für Ländersammler, die sich so Kosten für Einzelreisen sparen können. Die vom Veranstalter großzügig eingeräumte Finisherzeit von immerhin 7 Stunden, wie in einigen asiatischen Ländern (Bangkok, Ho Tschi Minh City, Manila, Singapur u.a.) mit Toleranzminuten kann für ältere Marathonläufer ein zusätzlicher Ansporn sein, daran teilzunehmen.
Das Programm binnen 6 Tagen 3 Marathons zu absolvieren und dabei große Entfernungen mit dem Autobus und einem Binnenflug zurückzulegen, mag nicht jedermanns Sache sein. Ich empfand das Ausmaß der Sightseeing-Blöcke als zu umfangreich, auch wenn man auf Kosten der Regeneration viel gesehen und über die Geschichte und Kultur erfahren hat. Meine Gesamtkosten inkl. Flüge von ca. 3500 Euro (1000 Euro für die Flüge) stören mich nicht. Die drei erworbenen Länderpunkte bringen mich nun sehr nahe zum in den kommenden Monaten angestrebten Hunderter.
Ergebnisse – siehe Link: https://www.webscorer.com/race?raceid=366568
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