1. Misano Marathon all’autodromo Marco Simoncelli – für mich nach einer langen Pause ein Comeback-Versuch
Seit meinem letzten Antreten über die 42.2 km beim Pisa Marathon im April 2022 sind 8 Monate vergangen. Während dieser langen Absenz bin ich keinen einzigen Meter gelaufen, um meine kaputten Knie und inzwischen auch die beidseitig entzündeten Grundgelenke bei den großen Zehen zu schonen.
Eine gewisse Fitness verdanke ich fast täglichem Radfahren auf der Donauinsel in Wien sowie 1x die Woche mit dem MTB im Gelände am Kahlenberg. Dazu kommen 2 Einheiten Oberkörpertraining pro Woche in einem Fitnessstudio. Bei großzügigen 8 Stunden Öffnungszeit des 1. Misano Marathons im berühmten Circuito Simoncelli am 29.Januar 2023 besteht auch für einen orthopädisch Behinderten und mittlerweile Antiläufer die Chance, wieder einmal anzuschreiben.
Kurze Vorgeschichte, Registrierung und Anreise nach Misano
Der Club Supermarathon Italia, bei dem ich seit 2016 als ordentliches Mitglied eingetragen bin, verbindet mit einer Teilnahme am Marathon den Jahresabschluss für 2022 bei einem Galadinner im Kreise der zumeist italienischen soci (weitere Österreicher sind dort registriert). In einem E-mail an den Präsidenten Paolo Gini versuche ich diesen zu erklären, dass meine Bilanz mit 6 Marathons mickrig ist und die Vorschau für 2023 ziemlich düster aussieht. Es ist schwer, wenn man wegen Dauerschmerzen auch beim Gehen (Radfahren geht ja) auf sein langjähriges Hobby früher oder später ganz verzichten wird müssen. So sehen es die Orthopäden – und empfehlen am besten gleich zwei neue Knie. Erst auf Nachfrage erfahre ich, dass man mit Knieprothesen in der Regel keine derartigen Belastungen mehr machen könne und dürfe.
Eine neuartige Methode macht Hoffnung, die nach Zuweisung von einem renommierten Orthopäden bei den Barmherzigen Brüdern in Wien auch bei mir erprobt werden soll. Nach einer radioaktiven MR-Untersuchung beider Knie im August, nach der ich 24 Stunden wegen Strahlung jegliche Menschen meiden soll, bekomme ich im Sept. einen Termin für die eigentliche Behandlung. Dabei werden strahlende Partikel mit einer langen Nadel in das Knie (mein rechtes mit einer Bakerzyste, inzwischen so groß wie eine Mandarine, lasse ich alle 2-3x Wochen punktieren, damit der Druck geringer wird) zum arthritischen (entzündeten) Bereich bei mir innen injiziert. Das Bein muss mit einer Schiene stabilisiert werden, man darf es 2 Tage nicht bewegen, woran man sich erst gewöhnen muss. Die Strahlung soll die entzündete Gewebehaut quasi zerstören, damit sie in 2-3 Monaten vielleicht neu nachwachsen kann.
Dies erklärt, warum ich mich solange bei keinem Marathon blicken lasse, Schonung ist angesagt. Aber es stellt sich bald heraus, dass die Behandlung bei mir wenig bis gar nichts gebracht hat. In 8 Monaten habe ich sogar das Gehen verlernt, selbst kurze Distanzen von 1 km kommen mir weit vor.
Ich schreibe dem Präsidenten dank Google Translate in gutem Italienisch, dass ich gerne nach Misano kommen würde und mich auf das Zusammentreffen mit den vielen netten Kollegen freue. Clubmitglieder bekommen bei dem allen Interessierten offen stehenden Marathon (wenn man als Ausländer die übliche Runcard auf ein Jahr erworben hat und im Besitze eines gültigen medizinischen Attests ist) 10% Abzug dank einem in der Mailaussendung genannten Gutschein-Code bei der Anmeldung auf icron.it (einer von vielen italienischen Sportdienstleistern). Wie immer melde ich mich kurzfristig, aber fristgerecht an. Mit den Transferspesen bei einer Kreditkartenabbuchung beträgt die Teilnahmegebühr für mich (nach dem Stichtag 15.Jan. 2023) ca. 53 Euro.
Um noch einen günstigen Flug nach Venedig oder Bologna zu bekommen, scheint der 26. Januar, ein Donnerstag, fast schon zu spät, wenn 3 Tage später der Marathon gelaufen wird. So entscheide ich mich für den Zug, Ermäßigung gibt es nach Venezia-Mestre für den 27.Januar von Wien aus keine, für die am 30. 1. 2023 vorgesehene Rückfahrt dann schon – statt 74,50 Euro mit meiner Vorteilskarte für Senioren sind es „nur“ 65,90. Also auf nach Italien, Tagwache am 27. Januar um 5 Uhr morgens, mit dem 18er zum Hauptbahnhof, Abfahrt um 6:18, seit einiger Zeit um 7 Minuten früher als in den Jahren zuvor. Doch der Railjet hat trotzdem wieder 10 Minuten Verspätung bei der Ankunft in Venezia Mestre, egal wie früh der in Wien wegfährt. Um 15:04 Uhr geht es mit dem Frecciarossa 8815 mit einem auf Trenitalia im Internet gekauften Ticket um 30,90 Euro nach Pesaro, von dort nach 20 Minuten Aufenthalt mit einem Regionale Veloce in 12 Minuten nach Misano Adriatico, Ankunft um 18:37 Uhr.
Es ist schon finster, mit GPS am Smartphone finde ich das nur 300 m vom kleinen Bahnhof für 3 Nächte inkl. Frühstück um 168 Euro gebuchte Mittelklassehotel Ariston, das weit und breit als einziges jetzt im Winter offen hat – vermutlich hat der Präsident da mitgesprochen. Ich bekomme ein geräumiges Zimmer im Dachgeschoß, man hat den E-Radiator ferngesteuert eingeschaltet. Ein Kühlschrank ist im Zimmer, aber kein Wasserkocher und auch kein Telefon zur Rezeption. Ja und der an der Wand befestigte Fernseher ist mit den Maßen 40x60 cm kleiner als ein PC-Monitor vor 20 Jahren. Beim Durchlaufcheck ist kein einziges ausländisches Programm eingestellt– aber wozu auch, moderne Menschen streamen ja heutzutage etwa über das im Hotel gut funktionierende W-LAN.
Ich gehe ins 1 ½ km entfernte Zentrum, um erstens einen größeren Conad für Lebensmitteleinkäufe und zweitens ein Essenslokal an einem Freitag gegen 19 Uhr zu finden. Misano Adriatico ist im Winter fast ausgestorben – und es ist hier am Meer genauso kalt wie in Österreich mit Temperaturen um die Null Grad und Wind.
Ein ganzer Samstag steht mir zur Verfügung
Als ich gegen 8:30 Uhr morgens den Frühstücksraum betrete, sitzen bereits ein halbes Dutzend dem sportlichen Aussehen nach alles Läufer/innen auf den Zweier- und Vierertischen weitläufig verteilt und scheinen die Vielfalt des Frühstücksbuffets zu genießen. Für ein Dreisternhotel, das im Hochsommer sicher bestens gebucht sein wird, gibt man sich hier große Mühe, die Gäste zufrieden zu stellen. Ein drahtiger Mann Mitte/Ende Fünfzig spricht mich an, zunächst auf Englisch, dann auf Deutsch. Er komme aus Südtirol und kenne den Gerhard Wally. „Wer nicht in der Läuferszene!“, antworte ich. Kollege Wally (am Beginn von M-65) hat bisher knapp über 700 Marathons mit sehr guten Laufzeiten in jüngster Zeit in den Beinen, er ist unter den Sammlern die Nummer 1 hierzulande. Es mag unbescheiden sein, wenn ich anmerke, dass ich mit 438 inkl. 6 Ultras nach wie vor in der Statistik auf Platz 2 liege, vor dem 81-jährigen Helmut Linzbichler (255 Marathons, 65 Ultraläufe) und Werner Kroer (mit 300 Marathons und 16 Ultras). Zwar in langsamen Tempo, aber schier unaufhaltsam nach kommt der St. Pöltner Karl Alfred Erber (bisher 226 Marathons in wenigen Jahren), der laut Teilnehmerliste auch für Misano registriert ist. Jede/r Sammler/in kennt seine/ihre Laufstatistik, man darf darauf auch ein bisschen stolz sein. Ich verabschiede mich vom Südtiroler Kollegen und deute an, dass ich jetzt einen Strandspaziergang machen wolle – die Startnummern werden erst ab 14:30 Uhr im Circuito ausgegeben werden.
Wenn man im Sommer an der Adria weilt (Misano Adriatico ist von Rimini nur 15 km entfernt) und dann im Winter zurückkommt, ist die Idylle am Meer wie weggeblasen: Starke Winde türmen Sand auf, Verwehungen tragen ganze Dächer ab, entwurzelte Bäume säumen die Strandlandschaft. Abfälle werden an Land gespült, leider kommen die Aufräumer mit dem Saubermachen nicht nach. Ich sehe nur einen einzigen Mann, der mit einer größeren Schubkarre Treibholz einsammelt, dieses automatisch durchschütteln lässt, damit der meiste Sand herunterfällt und dann auf einen größeren Haufen ablagert. Wahrscheinlich wird man dieses Holz durch Verbrennen entsorgen. Aber alle Plastikabfälle bleiben am Strand liegen, bei der nächsten Flut wird der ganze Dreck wieder ins Meer hinein gespült werden. Keine Frage, auch die Adria beherbergt Unmengen von Müll.
Es ist am Strand so kalt, dass ich den Spaziergang nach einer halben Stunde nicht mehr als angenehm empfinde – sogar die Digicam friert ein, das Objektiv fährt nicht mehr aus bzw. bleibt beim Abdrehen einfach Stecken. Die wenigen Hundebesitzer, die heute unterwegs sind, gehen nur raus, damit ihre Lieblinge einen ungestörten Auslauf haben. Eine stark geschminkte Frau sieht mich böse an, als ich ihren kleinen Pinscher zu mir herüber locke. Hunde spüren, wer ihnen gut gesinnt ist.
Zurück im Hotel Ariston in meiner Dachbude gegen Mittag bleiben mir noch 2 ½ Stunden bis zum anstehenden Spaziergang zum Circuito. Ich nutze diese Zeit für Recherchearbeiten an einem historischen Thema für eine Publikation.
Abholung der Startnummer im World Circuit Mario Simoncello
Über Smartphone lasse ich mir die genaue Wegstrecke am Display anzeigen. Es sind 3.1 km bis zum Circuito Simoncelli zurückzulegen. Bus Nr. 178 fährt auch zur Viale Daijiro Kato, aber ich schaue erst gar nicht nach, zu welchen Zeiten man zusteigen könnte. So spaziere ich relativ gemütlich immer leicht ansteigend in Richtung Norden, der kalte Wind bläst mir ins Gesicht. Die Landschaft ist auch im Winter grün, auf dem Radweg neben der Via del Carro nach Westen komme ich gut voran. Bei einem Kreisverkehr ändert sich die Richtung wieder nach Norden – so empfiehlt es die virtuelle Frauenstimme am Handy. Ich komme zur Autostrada Adriatica A14, über die eine Brücke führt. Die in einer 4,2 km lange Runde geführte Motorsport-Rennstrecke, zu Ehren des 2011 in Sepang/Malaysia tödlich verunglückten Rennfahrers Mario Simoncelli umbenannt, ist von da noch 900 m entfernt.
Ich bin der Einzige, der ohne Auto, also „per pedibus“ – wie es der Lateiner vor 2000 Jahren vielleicht umschrieben hätte – ankommt. Es parken inzwischen an die 50 PKWs, dauernd kommen weitere hinzu. Der Club Supermarathon Italia ist ja Veranstalter des bisher 1. Laufbewerbs über die Marathondistanz auf dieser Rennstrecke, die bereits 1972 gebaut wurde und auf der Weltmeisterschaften ausgetragen wurden und werden. Die Clubfahne weist mir den Weg hinauf zu den Zugängen zur Stadiontribüne, deren Türen allerdings abgesperrt sind – wir würden ohnehin morgen physisch auf der Strecke sein, also der Anblick von oben einen Tag vor dem Bewerb ist entbehrlich.
Nicht umhin kommt man, ein unterfertigtes Formular abzugeben, das den Zutritt morgen zur Rennstrecke ermöglicht. Fast alle – außer ich, der die Ausschreibung gelesen hat (manches mit google übersetzen lassen musste) – nehmen sich aus dem Kopierstoß einen solchen Vordruck und tragen ihre Daten mit Unterschrift ein. Das führt zu einem Stau, ich stehe gut 30 Minuten in der Schlange, ein Vorgehen wird durch die blockierenden Kollegen sehr erschwert und würde als Affront aufgefasst werden.
Als ich endlich zur Startnummernausgabe komme, findet man diese nicht sofort. Schon beim Aussprechen meines Familiennamens mit zwei Vokalen tut sich der Kollege vom Club schwer. Es passt dann zum Procedere, dass ich weder auf der Liste für eine Urkunde mit der Jahresbilanz 2022 (eh nur 6 Marathons mit einer einzigen Zeit unter 6 h in Rimini) stehe noch das Singlet erhalte, auf dessen Rückseite eben die Gesamtzahl an Marathons und Ultraläufe bis zum 31.12.2002 mit dem Vornamen des Trägers ausgewiesen ist.
Die Mitgliedergebühr in der Höhe von 25 Euro für 2023 habe ich bereits bezahlt, auch die Anmeldung für den Marathon ordentlich erledigt. Was ich nicht gemacht bzw. übersehen habe, ist der Sekretärin zu melden, dass ich nach Misano Adriatico zur Jahresversammlung kommen würde. Aber im Nachhinein gesehen ist das fast logisch, denn der werte Herr Präsident begibt sich nie auf eine untere Ebene, leitet keine Mails – zumindest meine nicht und bisher nie – weiter. Mit fast leeren Händen – jede/r Teilnehmer/in bekommt ein Baumwollshirt mit dem Logo der Marathonveranstaltung vorne und hinten aufgedruckt die Stationen der Clubmarathons in diesem Jahr – ziehe ich bald darauf wieder ab. Eine Teilnahme beim festlichen Gelage erst ab 19:30 Uhr erscheint mit ohne Auto als zu spät. Ich will nicht 3 km in der Nacht zum Hotel zurückhatschen.
Ein sehr beschwerlicher Marathon nach langer Pause
Bereits 10 Minuten vor dem offiziellen Frühstücksbeginn um 7 Uhr im abgegrenzten Trakt im Erdgeschoss des Hotels Ariston haben sich die Marathonis versammelt. Der Lärm dringt bis in den 5. Stock hinauf. Als Italienurlauber über Jahrzehnte, gerne in der Vor- und Nachsaison, erlebe ich dies ständig und stoße mich nicht daran. Eine italienische Mama lässt ihre Bambini auch um Mitternacht am Gang schreien, würden sie dies nicht tun, hätte sie Sorge, ob sie vielleicht krank sind.
So begebe ich mich in den Frühstücksraum und setze mich neben den Südtiroler Kollegen, dessen Namen ich zunächst nicht erfahre. Er wird wie ich und die meisten hier die Marathondistanz in Angriff nehmen, will unter 5 h finishen – ich wünsche ihm alles Gute.
Spitzenläufer mögen sich daran halten, beim Frühstück an einem Marathontag bescheiden zu bleiben, alle anderen aber, die es ruhig angehen, müssen auf einen gesättigten Magen nicht verzichten. Ich genieße daher den feinen Parma-Schinken und Gorgonzola-Käse, danach Rührei mit gebratenem Speck und zum Schluss Fruchtjoghurt mit Torta della Nonna. Zu Hause trinke ich täglich meinen Ovomaltine-Kakao, anderswo in Hotels etc. liebend gerne einen oder gleich zwei Latte macchiatto.
Gegen 8 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Start. Für die 3 km zum Circuito benötige ich ca. 30 Minuten Gehzeit – das könnte das Tempo werden ab der 2. Hälfte des Marathons heute. Eine lange Schlange steht vor dem Ausfassen der Startnummern, viele sind erst heute früh morgens angekommen. Es wird sich alles ausgehen bis zum Start um 9:00 Uhr für alle bewerbsmäßigen Rennen – nämlich über 21, 42 und 58 km (oftmalige Startnummer und daher Markenzeichen von Mario Simoncelli).
Wenn es doch nicht so winterlich kalt wäre – die Rezeptionistin sprach von „sole“ heute, stattdessen ein paar Grad über Null und dazu eisiger Wind aus Nordosten. Umkleidekabinen sowie eine Ablage sehe ich nicht, die Starter/innen legen ihre Tasche einfach auf den Betonboden in die Ecke eines offenen Raumes, wo der Wind reinbläst und es so kalt wie draußen ist. Andere legen ihre Beutel auf die Wiese neben der Startbahn, die nur durch eine gesicherte Tür, die ausgerechnet Paolo Gini, Präsident des Club Supermarathon Italia mit Argusaugen bewacht, erreichbar ist. Das erscheint mir sinnvoller, weil man beim 9-maligen Vorbeilaufen (der Marathon hat 10 Runden) sieht, ob die Tasche sich womöglich „vertschüsst“ hat, manchmal nimmt jemand fremde Sachen auch irrtümlich mit.
Was habe ich mir für heute vorgenommen? Vielleicht gelingt mir eine Mischung aus kürzeren Laufeinheiten (quasi aus dem Stand) und längeren Gehabschnitten, um so eine Kilometerzeit um 8:30 min zu schaffen, ein Halbmarathon um 2:50 h wäre schon ein kleiner Erfolg.
Ich hatte nicht vor beim Misano Marathon zu fotografieren, aber die Gewohnheit ist wieder durchgebrochen. 2013 habe ich erstmals umfangreicher über einen Marathon berichtet – damals im August aus dem Riesengebirge in Polen. Es hat Spaß gemacht, die Kollegen, die Landschaft, das ganze Drumherum abzulichten, wie man früher die Tätigkeit beim Fotografieren gerne umschrieben hat. Bei Marathon4you sind so bis zum Herbst 2021 über 140 Beiträge zusammengekommen. Anschließend habe ich bei der Plattform hdsports als Schreiberling „angedockt“, wo inzwischen auch Kollege Herbert Orlinger aktiv ist.
Schon nach wenigen Schnappschüssen bemerke ich, dass die Sony Digicam schon wieder bockt, daher wird sich meine Fotoausbeute heute sehr reduzieren. Aber egal, ich sollte lieber auf mein Fortkommen hier im Bewerb achten und schauen, wie ich mit all den Beschwerden, die man mir wie der Südtiroler netterweise gestern angemerkt hat, äußerlich gar nicht ansieht.
Knapp vor dem Start um 9:00 Uhr bemerke ich Karl Alfred Erber in seinem Renndress in rosa, und den Inder Pandian Sivabalan, beide sind wie ich Mitglied bei den Italienern. Aber meine Gegner/innen sind heute nur die Geher/innen, von denen es zahlreiche gibt, wie ich schon in der ersten Runde notiere. Die meisten Läufer/innen, egal wie alt sie sind, sind offenbar an mir vorbei gekommen, auch wenn sie noch so dahinzappeln, wie ich ihre Fortbewegung trotz meiner Einschränkungen ein wenig überheblich beschreiben würde, z.B. in diesem Bericht. Mit 32 min, auf meiner Garmin sichtbar, beende ich die erste Runde (4,2 km). Eine Walkerin hat sich auf meine Fersen geheftet, sie möchte und möchte an mir vorbeikommen. Mit kurzen Trabeinheiten kann ich den ca. 5-10 m Abstand zunächst festigen.
Auf der vierten Runde kommt Kollege Erber nach, der vielleicht 10 m vor mir gestartet und gut weggekommen ist. Wir plaudern ein wenig, – er erwähnt, dass sich die Kollegen Herbert Orlinger und Bernhard Keiler aus Österreich auch angemeldet hätten, aber ihr gebuchter Flug wegen Streiks des Bodenpersonals in Deutschland entfiel.
Man kann sich über den Laufstil mancher Kollegin oder eines Kollege wundern – gewiss ist Spötteln eine schlechte Eigenschaft – aber am Ende kommt es auf den Endzweck an. Auch ich gehe davon aus, dass ich heute innerhalb der 8 h finishen werde, selbst langsames Gehen mit 11:30 min/km würden sich rechnerisch noch ausreichen.
Ich bin guter Dinge, dass es so weitergehen wird, doch Irrtum, nach dem viermaligen Durchlauf bei der Zeitnehmung im Zielbereich (16,8 km) haben sich meine Rundenzeiten stets etwas verlängert. eine oder 2 Minuten sind dazugekommen. Und nach der 5. Runde bei Erreichen der Halbdistanz sind meine Kräfte geschwunden. „Wie das“, frage ich mich. Radfahren ersetzt Laufen nicht, auch wenn ich gegen den Wind mit 20-22km/h eine Strecke von 30 km auf Asphalt fahre, ist der Kalorienverbrauch um zwei Drittel geringer als etwa 10 km in einer Sechserzeit (früher war das für mich eine Regenerationszeit) zu joggen. Ich kann nichts beschönigen: Ohne jegliches Lauftraining seit April 2022 und ohne längere Wegstrecken (meine Almspaziergänge im Sommer beliefen sich auf max. 6 km pro Abschnitt im Schongang) zurückgelegt zu haben, bin ich völlig unzureichend vorbereitet. Mit Anstrengung könnte ich einiges wettmachen, aber sich nun wieder mit Dauerschmerzen in den Knien und Füßen vielleicht noch lächelnd und kommunikativ mit der Kamera im Anschlag bei einem Marathon mit anderen, die gut trainiert sind, aber in meinem Zustand schon längst das Handtuch geworfen hätten, zu konkurrenzieren – kaum ein Sammler wird gerne Letzter – ist von vorneherein ein hoffnungsloses Unterfangen.
So lasse ich auch auf Runde 7 die eifrige Walkerin ziehen, Walter aus Südtirol fragt, ob ich Schmerzen habe, was ich nickend bestätige und so tue, als kümmert mich das nicht wirklich. Ja, andere spüren die ja nicht, daher sind solche Gespräche eher dem Small-Talk am Ende eines Marathons zuzuordnen, wenn viele nur mehr gehen und ihre Dankbarkeit dann im Ziel am liebsten laut rauschreien würden.
Enttäuschend ist für mich, dass ich in der vorletzten und letzten Runde direkte Konkurrenten, die ich seit Jahren kenne, vorbeiziehen (in einem schnelleren Gehtempo!) sehe und nicht mithalten kann. Ich beginne zu rechnen, als ich nach 37 km Kollegen Erber im Ziel stehen sehe – er hat mir mehr als eine Runde abgenommen. Das ist bisher Rekord, genau genommen, seit ich nicht mehr laufen kann. Bei früheren Marathons war das vielfach umgekehrt, da müsste man in der Statistik z.B. bei marathonaustria.com anschauen.
50 Minuten kann ich mir erlauben, um noch unter 7 h zu finishen. Das geht sich aus – vielleicht hätte ich auf der letzten Runde noch kämpfen sollen – zwar kann ich einen Läufer in Schach halten, aber er ist im Endklassement doch um 2 Minuten „schneller“.
Beim Durchlauf in der 10. Runde habe ich den Karl-Alfred gefragt, ob er mich ev. im Auto in die Stadt mitnehmen würde. Ich rechne ihm hoch an, auf mich gewartet zu haben. Mit den Schmerzen in den Beinen hätte ich für die 3 km zum Hotel wohl eine Stunde gebraucht. Ohne Handy im Gepäck – aus Sicherheitsgründen wegen eines möglichen Diebstahls aus der unbeaufsichtigten Tragetasche, hätte ich kein Taxi rufen können.
Er setzt mich beim Bahnhof ab und sucht sich am Navi die beste Strecke nach Rimini, wo er übernachtet.
Pandian Sivabalans Lebensziel sind 1000 Marathons
Am Montagmorgen treffe ich Pandian, den die Welt in Sachen Marathon bereisenden Inder aus Mumbai (bis 1997 noch Bombay) beim Frühstück. Er läuft erst seit 2013 und schaffte es bis zum Ende des Kalenderjahres 2022 auf 666 Marathons. Inzwischen sind schon wieder ein Dutzend dazugekommen. Sein Lebensziel seien 1000 Marathons, kündigt er an. Bei einem Clubmarathon in Fano 2017 habe ich ihn zweimal überholt, man fragt sich, wo der Laufsport beginnt. Pandian hat mehr drauf, nur ist sein Wille auf sein Hauptziel ausgerichtet, wie er sagt, „Immer cool bleiben und einfach finishen“, ob 5, 6, 7 oder 8 h, seien ihm egal. Er, Pandian würde deshalb ab Mittwoch wieder bei Vielläufer und nach dessen Bezeichnung „Marathonsammlerweltrekordhalter“ (mit ca. 3200 Läufen) Christian Hottas in Teichwiesen bei Hamburg starten und auch das Wochenende mit weiteren 2 Läufen (sie kommen mit 3 erforderlichen Teilnehmern nach dem Statut des 100 Marathon Club Deutschland fast immer zustande) dort verbringen. Nur so komme er an sein Ziel – Hottas selbst bestimme, wie lange offen ist (inzwischen immer 8 h, soviel Zeit gesteht sich der Meister selbst zu).
Ich hingegen habe in den letzten Jahren schon so viele Teilnahmen an Marathons erst gar nicht mehr erwogen, weil die meisten Veranstalter 6 h als oberstes Limit ausgeben, nicht selten steht in der Vorschau 5:30. Bei Privatmarathons ist das anders, aber man kann darüber diskutieren, was zulässig sein sollte und wer die Regeln festschreiben darf. Ein Thema, dass Widerspruch in sich hat.
Ein kurzes Nachwort
Der erstmals ausgetragene Marathon im Circuito Simoncelli ist eine empfehlenswerte Veranstaltung, dem Club Supermarathon Italia gebührt für die perfekte Organisation und üppige Versorgung Lob und Anerkennung. Dementsprechend groß war die Zahl der Teilnehmer/innen, wie man auf icron.it in den Ergebnistabellen aller 3 Bewerbe nachschauen kann. Auch ohne Auto kommt man von der Stadt Misano Adriatico tlw. über einen Radweg dorthin. Ich halte die Strecke trotz ablandigem Windaufkommen tauglich für Laufbestzeiten. Laut Club-Kalender wird dieser Bewerb auch 2024 wieder stattfinden.
Siegerliste Marathon Männer (139 Finisher):
Die Top 3 bei der Premiere
1. Vanetti Riccardo (ITA) – 2:29:55
2. Pecora Luigi (ITA) – 2:45:19t
3. La Placa Paolo (ITA) – 2:46:00
Reihung bei den Frauen (36 Finisherinnen):
1. Moroni Federica (ITA) - 2:52:20
2. Virlan Liliana (ROM) - 3:25:43
3. Donati Elena (ITA) - 3:50:43
Fotos von Anton Reiter
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