Die Reiseagentur Go4 Adventures (mit Sitz in London) bietet seit dem Spätherbst 2023 auf der Website eine Marathontour durch 3 südamerikanische Länder an, nämlich Guyana, Suriname und Französisch-Guayana.
In den Basiskosten von 2500 Euro sind die jeweiligen Reisespesen nicht enthalten.
Da der Country Marathon Club (CC) das Überseedepartment Französisch-Guayana, das Teil der Europäischen Union ist, nicht als eigenes Land bewertet (die Globetrotters allerdings schon), kommen bei mir bei einem Finish der beiden vorangehenden Läufe nur 2 weitere Länderpunkte dazu.
Anreise nach Guyana
Im Februar 2024 stehen auf meinem Reiseprogramm die Marathons in Doha, Moshi (Kilimanjaro) und Kuwait. Daher ist die Organisation der Reise nach Südamerika für mich eine Doppelbelastung. Am 10. März fliege ich mit British Airways zunächst ab 7 Uhr nach London, dann um 10:35 Uhr weiter nach Barbados. Nach einem etwas unruhigen 8 Stunden-Flug über den Südatlantik beginnt ein stundenlanges Warten auf die Weiterreise mit interCaribbean Airways nach Georgetown. Ich treffe Klaus Westphal, im CC mit über 170 Länderpunkten überragender Leader. Auch er ist von London aus angereist, in der sehr kleinen Economy Klasse der Boing 777-300 saß er nur 5 Reihen hinter mir.
Unser Flug um 18 Uhr 30 fällt aus, bei der Ausreisekontrolle in Barbados macht man mir Schwierigkeiten, weil ich nicht schriftlich ausgedruckt nachweisen kann, dass ein Hotel in Georgetown für mich über Go4 Adventures gebucht wurde. Klaus zeigt den Damen unser Tourprogramm, das er am Smartphone in den Downloads als pdf vorfindet. Endlich geht’s weiter, aber nicht wie vorgesehen direkt nach Guyana, sondern zuerst nach Grenada. Meine Skepsis gegenüber der 68-sitzigen Turbopropmaschine ATR 72 ist unbegründet, ich empfinde den Flug mit freier Sitzplatzwahl zu später Stunde sogar als angenehm. Vielleicht weil das Wetter gut ist und der Kurzstreckenflieger eine niedrigere Flughöhe hat.
Erst um 23 Uhr 30 landen wir (statt um 18 Uhr 25), die Kontrolle bei der Einreise dauert dann über eine Stunde, der bestellte Shuttledienst hat über 6 Stunden auf uns gewartet. Auch Sally Shreeves ist angekommen und fährt mit uns im Bus zum ca. 40 km entfernten Ramada Princess Hotel. Um 2 Uhr 30 Uhr betrete ich nach 20 Stunden Anreise hundsmüde mein gebuchtes Einzelzimmer im 3. Stock des Viersterne-Hotels.
Sightseeing bei einer Stadtrundfahrt durch Georgetown
Gleich am ersten offiziellen Tag (11.3.2024) unseres Aufenthalts steht eine mehrstündige Besichtigung von Georgtown (ca. 32.000 Einwohner im Stadtkern, in der Agglomeration 140.000), Hauptstadt von Guyana, auf dem Programm. Die bereits 1781 gegründete Stadt ist Sitz der Karibischen Gemeinschaft und nach dem britischen König George III. benannt. Die Hafenstadt am Atlantik blickt auf eine niederländische und britische Geschichte als Kolonialgebiet in Südamerika zurück. Guyana löste sich erst im späten 20. Jahrhundert (1966) vom Vereinten Königreich.
Georgetown liegt an der Mündung des Demerara. Der Fluss entspringt im tropischen Regenwald und zieht sich über 345 Kilometer bis in den Atlantik. Die Holländer haben seinerzeit das Flachland entwässert und befestigt. Georgtown ist auch noch heute vielfach nur durch Deiche geschützt. 20 km nordwestlich der Stadt mündet der Essequibo (mit rund 1000 km Länge der größte Fluss der Republik Guyana) ebenfalls in den Atlantik.
Für die ca. 25 Personen umfassende Marathonreisegruppe stehen 2 Minibusse bereit. Die beiden einheimischen Guides, die auf ihren grünen Shirts die Aufschrift „The Guianas Tour“ eingestickt haben, tun ihr Bestes, um uns die Höhepunkte an relevanten Sightseeing-Spots in Georgtown näher zu bringen.
Traditionell sind die meisten Häuser (nicht nur im Zentrum der Stadt) in Holzbauweise errichtet, wie bspw. das im Zeitraum 1887-1889 fertig gestellte Rathaus (Town Hall) oder das durch verzierte Balkons und einen vorspringenden Turm auffallende, 1829-1834 von der britischen Kolonialverwaltung gebaute Regierungsgebäude mit seiner Säulenfassade. Viele Häuser stehen auf bis zu drei Meter hohen Pfählen, um die Bewohner vor Bodenfeuchtigkeit und Überschwemmung zu schützen. Unübersehbar im Stadtbild ist der 45 Meter hohe Turm der anglikanischen St. George’s Cathedral von 1892, die eine der höchsten Holzkirchen der Welt ist.
Wir verweilen im Botanischen Garten, der zu den erholsamen und beliebten Orten der Stadt gehört. Durch die vielen Grünanlagen gilt Georgetown als eine der schönsten Hafenstädte am Atlantik. Wie spazieren weiter zum Guyana National Museum, das einen Einblick in die Landesgeschichte und die Natur Guyanas bietet. Das im Kolonialstiel gebaute Gerichtsgebäude wird für Fotostopps genutzt. Eine große Uhr ziert den Turm des Stabroek Markets, auf dem einheimische Erzeugnisse angeboten werden. Nach einer Lunchpause in einem lokalen Restaurant fahren wir am frühen Nachmittag zum Hotel zurück.
Marathontag (12.3.2024)
Um 02 Uhr früh treffen wir uns vor der Rezeption des Ramada Princess Hotels. Aufgestanden bin ich aber bereits um 01:20. Den Teilnehmern wird ein Lunchpaket ausgehändigt. Die Fahrt mit unseren Minibussen bis zum ca. 42 km entfernten South Dakota Circuit dauert eine Stunde. Wir fahren durch die Nacht, Hunde streunen durch die Gegend, nicht angebundene Pferde und Rinder sieht man an freien Flächen vor Wohnhäusern schlafend. Es mag verwundern, dass ein Marathon schon um 3 Uhr morgens beginnt. In Guyana herrscht tropisches Klima mit hoher Luftfeuchtigkeit und großer Hitze. Je länger wir also die Nachtstunden nutzen können, desto erträglicher wird es für die Läufer, meint Wojtek Machnik, selbst mit über 150 Ländern in beiden Marathonländersammler-Clubs sehr weit vorne im Ranking.
Die als South Dakota benannte Rennstrecke wurde 1956 unter britischer Herrschaft als dauerhafter Austragungsort für Motorradrennfahrer eröffnet und entstand aus einer ehemaligen Landebahn aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Name wurde von dem gleichnamigen Militärflugzeug übernommen. Die Rennstrecke war Austragungsort verschiedener karibischer Auto- und Motorradmeisterschaften, hat aber heutzutage nur mehr eine marginale Bedeutung. Ende der 2000er Jahre war die Rennstrecke verfallen. Die Sanierungsarbeiten dauern an, wie unser Guide berichtet.
Wojtek ist Organisator, Race Director und selbst Teilnehmer. 14 Runden sind auf dem etwas über 3 km langen Rundkurs zu laufen. Da es stockdunkel ist, ist das Tragen einer Stirnlampe als verpflichtend angeordnet worden. Mehrere Helfer haben sich an der Strecke postiert, die einen im Auto sitzend mit eingeschaltetem Blinklicht, die anderen bei der Zeitnehmung, die nach jeder Runde erfolgen wird. Hier befindet sich auch die Labestelle, die in wenigen Stunden unsere Rettungsstation werden sollte. Gemessen wird mit GPS und zusätzlichem Nachweis der eigenen Laufzeit plus Distanz auf der GPS-Uhr. Um diese Tageszeit oder wohl treffender formuliert zu dieser nächtlichen Stunde ist der Circuit noch gar nicht frequentiert, dennoch ist er nicht vollständig gesperrt worden. Als Zeitlimit wurden 7 Stunden ausgegeben, ob sich das für die Langsamen ausgehen wird, ist bei den zu erwartenden schwierigen Bedingungen offen.
Ich bin im Laufe der letzten 22 Jahre schon öfters bei Nachmarathons dabei gewesen, es war stets eine zusätzlich Anstrengung für den Körper, der ja eigentlich um diese späte Stunde ein Ruhebedürfnis hat. Hinzu kommt die Zeitverschiebung zu Mitteleuropa um 3 Stunden, was Guyana betrifft.
Um 3 Uhr 30 wird gestartet. Alle sind hoch motiviert. Ich komme gut weg und fühle mich bei ca. 20 Grad und eigentlich kaum spürbarer Luftfeuchtigkeit richtig wohl. Aber schon nach 1 km folgt ein Anstieg, der Kraft kostet. Daher reduziere ich mein Tempo auf ca. 8:30 min/km und lege mir einen Zeitplan im Kopf zurecht: Wenn ich noch vor Sonnenaufgang die Halbdistanz (7 Runden) vielleicht mit 2:50 h schaffen könnte, wäre eine Finisherzeit knapp über 6 Stunden eine passable Leistung und deutlich unter dem Limit.
Trotz Stirnlampe sieht man in der finsteren Nacht nur sehr ungenau, wie der Untergrund aussieht. Manchmal trete ich in ein Loch, vermutlich ist hier ein Stück Asphalt ausgebrochen. Ein halbes Dutzend Läufer liegt nach 3 Runden hinter mir. Ziyad Rahim hat sich mir angeschlossen, wir lösen uns bei der Tempoarbeit ab. Ihm machen die zahlreichen bellenden Hunde Sorgen. Seit der ersten Runde versuchen einige Streuner die Läufer zu attackieren. Daher ist es besser, in einer kleinen Gruppe zu laufen. Aber man sollte nicht zu viel Angst zeigen oder gar mit Gegenaggression reagieren, das macht sie nur noch wilder. Eher das Weite suchen, Hunde sind Geruchstiere und spüren auch, wenn ein Mensch Angst hat.
Nach 3 Stunden dämmert es, man kann die Dimension des Circuits überblicken. Eigentlich eine trostlose Rennbahn, wenngleich direkt beim Cheddi Jagan International Airport angesiedelt. Ich frage mich, wer hier auf dieser verfallenen Strecke mit tiefen Rissen im Belag ein Motorrad oder einen Rennwagen mit Höchstgeschwindigkeit lenken soll. Aber für einen Marathon mit 14 Runden und ca. 200 Höhenmeter gesamt eignet sich der Rundkurs gewiss. Die Ausschreibungsbedingungen wurden gemäß Einhaltung der Clubstatuten erfüllt, die Ankündigung ist mehrere Monate davor öffentlich im Web erfolgt, und es werden mehr als 10 Teilnehmer im Rennen sein (wie das die Globetrotters ziemlich streng einfordern).
Meine Befürchtung tritt in der achten Runde ein – kommt erst mal die Sonne raus, wird es ein anderes Rennen geben. Die nächtliche Frische ist mit einem Schlag weg, auf der Aufwärtspassage scheint mir die Sonne auf den Kopf und ins Gesicht. Trotz wärmeschutzbringender Laufkappe verpufft meine Energie binnen Minuten. Nach 10 Runden denke ich sogar ans Aufgeben. Ziyad, mein Begleiter, geht es ähnlich. Auch die sogenannten Schnelleren schleichen auf einmal nur mehr dahin. Aber noch habe ich 4 Runden, 12 Kilometer, vor mir. Das sind im Gehtempo mehr als 2 h. Es gibt bei der einzigen Labestelle bei der Zeitnahme Melonen, gekühltes Cola und ausreichend Wasser. Aber das ändert nichts daran, dass ich die ausstehenden Runden absolvieren muss sowie ein halbes Dutzend noch im Rennen befindliche mit letzten Kräften dies auch wollen.
Ziyad liegt am Schuss 300 m vor mir, auch er hat 43,1 km absolviert. Wenn man 900 m abzieht, ginge sich rechnerisch noch eine Zeit knapp sub 7 Stunden aus. Aber auch alle anderen Finisher, die etwas darüber liegen, werden ins Klassement aufgenommen. Den ersten Länderpunkt in einem südamerikanischen Land habe ich mir unter tropischer Hitze und Schwüle mit Fortdauer des Rennens wirklich hart erkämpfen müssen. Bereits im Bus sitzend erfahre ich, dass Vaugn, ein Kollege aus Dänemark, tatsächlich von Hunden gebissen und vorsichtshalber in ein Krankenhaus gebracht wurde. Eine Tetanus- und Tollwutimpfung sei rasch durchzuführen, erklärt unser Guide. Da der Zaun um den Circuit an mehreren Stellen durchbrochen ist – wie man nun am Tag deutlich sehen kann – ist unserem Reiseveranstalter kein Vorwurf zu machen.
Alle Teilnehmer haben ihren Länderpunkt bekommen, mit Ausnahme von Klaus, der aus gesundheitlichen Gründen nur die 10 km absolviert hat. Bei der Rückfahrt im Bus gleitet die Landschaft an uns vorbei, einige schöne Eindrücke werden in meinem Gedächtnis bleiben.
Morgen müssen wir erneut um 2 Uhr nachts aufstehen, um die Fähre von Guyana nach Surinam zu erwischen. Die anstrengende Reise wird fortgesetzt.
Ergebnisse Guyana Marathon 2024
Fotos: © Anton Reiter
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