Teil 3 der außergewöhnlichen Central Asian Challenge!
Central Asian Challenge vom 9.-14 Oktober 2013 für Marathonländerpunkte-Sammler (Dritte Destination)
Aufbruch nach Taschkent
Jene Läufer, die am 12. Okt. vormittags am Ausflug zum Ala-Archa Nationalpark, ca. 45 km von Bischkek entfernt, nicht teilnehmen, werden laut Vereinbarung um 12:15 Uhr vom Freedom Hotel abgeholt. Wie erwähnt habe ich diese freie Zeit genutzt und bin nochmals zum Ala-Too-Platz spaziert, um diesen mit all seinen Bauwerken bei Tageslicht zu sehen. Tags davor hat es viel Aufregung um den angekündigten Putin-Besuch in Bischkek gegeben. Wie’s vielleicht der Zufall haben will, mit meiner schon etwas ramponierten Digicam im Anschlag, fährt der hinten und vorne von Polizisten auf Motorrädern bewachte Konvoi 10 m an mir vorbei. Ich komme nicht dazu, Wladimir zuzuwinken, so schnell geht alles. Während offenbar ganze Straßenzüge gesperrt sind, ist die Route, auf der die Delegation unterwegs nicht einmal bewacht.
Ich habe andere Sorgen, mir bleiben noch 30 Minuten Zeit, um pünktlich beim Hotel zu sein. Um ohne Navi zurückzufinden, habe ich mir bestimmte Gebäude gemerkt bzw. diese fotografiert. Aus Kostengründen habe ich meine mobilen Daten im Smartphone deaktiviert. Irgendwo muss man ja schließlich etwas einsparen (bei einer 4.000 Euro teuren Reise).
Ich bin vor den Ausflugsbussen beim Hotel, hole meine gepackte Rolltasche und checke um 12:15 Uhr aus. Die Rezeptionistin kritisiert, dass ich ein Handtuch verschmutzt habe – sie hat recht, in den Rillen der Sohle meiner Laufschuhe ist Erde vom Botanischen Garten picken geblieben. So bin ich wohl unabsichtlich auf ein nasses, am Boden liegendes Handtuch gestiegen, das nun Schmutzspuren aufweist. Ich entschuldige mich dafür, entgegne aber, dass man mit einem etwas längeren Waschgang diese wieder wegbekommen könne. Der Chef hört zu, er nickt, die Sache ist geklärt.
Die Ausflügler kommen mit einem gefüllten Magen zurück, im Preis von 40 USD ist ein Lunchpaket enthalten gewesen. Da ich mehr Zeit zum Frühstücken hatte, verspüre ich keinen Hunger. Meine Tasche platziere ich diesmal im Laderaum ganz oben, so kann sie von den schweren Koffern nicht eingedrückt werden. Nicht vom Flug mit der Lufthansa, sondern vom Transport von Almaty zur Grenze weist meine nagelneue Tasche eine schadhafte Stelle auf.
Wir fahren zum Flughafen – „we got plenty of time“, sagt Ziyad. Es sollten Stunden werden. Immer noch stehen Hunderte Polizisten im Abstand von nur 50 m zueinander zumeist mit dem Rücken zur Fahrbahn gewandt entlang der 20 km-Route. Ob tatsächlich aus den Maisfeldern Gefahr für die im Konvoi vorbeifahrenden hohen GUS-Delegierten drohen könnte, lässt sich nur erahnen. So ein riesiges Polizeiaufgebot würde bei uns Millionen an Kosten verschlingen.
Auch der Guide, der uns schon gestern begleitet hat, ist wieder zugegen, er schweigt diesmal, starrt wie die heutige Generation aufs Handy, wischt und dürfte etwas gefunden haben, das ihn ablenkt. Dank seiner Erfahrung mit anderen Gruppen steht er bei der Einfahrt in das Flughafenareal auf und begibt sich nach vorne zum Fahrer. Nach seiner Verabschiedung bekommt er Beifall von der Gruppe, aber wie es aussieht, leider kein Trinkgeld. Vielleicht deshalb nicht, weil wir alle ja recht viel bezahlt haben und Ziyad die finanzielle Abwicklung alleine vorgenommen hat.
Schon beim Eingang werden alle Gepäcksstücke geröntgt, dann geht’s zum Schalter. Ziyad hat uns förmlich bedrängt, dass wir schon Wochen vor der Reise alle den gleichen Flug mit Uzbekistan Airways von Bischkek nach Taschkent buchen, der plangemäß am 12. 10. 2023 um 16:10 Uhr erfolgen soll. Zwar habe ich mich über Internet eingecheckt, wie wohl alle in der Gruppe, aber das hat keine Auswirkung auf die Prozedur am Schalter. Wir stehen mehr als eine Stunde, bis das Gepäck endlich angenommen wird.
Der Flughafen von Bischkek ist sehr klein, es gibt kaum Bänke oder Zonen zum Sitzen. Die wartenden Passagiere auch anderer Flüge können sich nur in eine der gastronomischen Einrichtungen einen Platz zum Verweilen sichern, was mit Konsumation verbunden ist. Ich zahle für ein Bier 4 USD, im Gegensatz zu meinen Kollegen habe ich keine Som eingewechselt.
Alle starren auf die Anzeige, am Display sind mehrere Flüge nach Moskau angekündigt, für den vorgesehenen Abflug des Airbus A330-300 der Uzbekistan Airways nach Taschkent wird eine Verspätung von 1 ½ Stunden erwartet. Don Bierer trägt ein T-Shirt, das ihn als Race Director einer virtuellen Marathon World Series auf 6 Kontinenten ausweist. Er erzählt, dass er in der Covid-Zeit als eine Art Überbrückung diese Rennen veranstaltet habe. Die Teilnehmer konnten die Marathons an Orten ihrer Wahl laufen, mittels GPS wurde die Zeit bestätigt und Urkunden ausgestellt. Man weiß, dass nicht alle Clubs diese Marathons werten würden, schon gar nicht als neue Länder. Aber Don ist ein netter Typ, er hat es gewiss ehrlich gemeint und damit auch Freude bereitet.
Wir warten 3 ½ Stunden bis zum Abflug, es ist längst finster, als der Airbus abhebt. Zieldestination des Großraumjets ist Tokio, Narita) mit Stopps in Neu Delhi und Bangkok. Wären wir um 17 Uhr weggeflogen, hätten wir Taschkent nach einer guten Stunde Flug wegen der Zeitverschiebung resp. des Zeitgewinns von 1 Stunde noch bei Tag erreicht. Erst nach 21 Uhr kommen wir an, die Kontrollen bei der Einreise ziehen sich, eine Kollegin, die in Hongkong lebt, wird quasi „einbehalten“. Es dauert länger, bis man sie ziehen lässt.
Ziyad schlägt vor, dass wir direkt zum Restaurant fahren und erst nach dem Abendessen zur Unterkunft. Das Khan Chapan ist ein beliebtes Restaurant in der Altstadt von Taschkent. Das Essen ist reichhaltig und gut. Ich muss mir von Thomas Godlewsky anhören, nicht alle Flaschen zu mir hinüberzuziehen. Es stimmt, ich habe es auf den roten Traubensaft abgesehen, doch Thomas entgeht nicht, dass dieser mir vorzüglich schmeckt. Er zieht die 1 Liter Packung zu sich rüber und gibt sie nicht mehr her.
Die Kollegen erzählen beim Essen von sich: Jack, der Schweizer Ultraläufer ist Weinbauer und betreibt einen Pferdestall, Yvonne, die schnelle Lady mit US-Reisepass, die in Hongkong lebt, ist Senior Flight Attendant bei United Arlines, Sally vierfache Mutter in NYC, Steven reist mit seiner Frau Hegina um die Welt (nicht nur zu Marathons) und hat bisher 172 Länder in der Welt besucht. Tor ist IT-Direktor in der Nähe von Kopenhagen und zählt wie einige andere hier zum von Ziyad gegründeten 6 Continents Marathon Club.
Obwohl es schon längst 22 Uhr ist, lassen sich die meisten in der Runde von Parvaneh, gebürtige Iranerin und in der Runde einsame Rekordhalterin mit 1800 Marathon, darunter 10x alle Bundessstaaten der USA, bei Live-Musik zum Mittanzen hinreißen. Mich zieht sie am Leibchen zur Tanzfläche, so muss ich halt mittun. Yvonne lässt sich von mir nicht überreden, ihre Leichtfüßigkeit beim Tanzen unter Beweis zu stellen, sie bleibt sitzen und tippt ins Smartphone. Es ist schon 23 Uhr als wir für unsere Zeche aufkommen, wieviel ich für ein großes und ein kleines Bier tatsächlich zahle, bekomme ich nicht mit. Grund ist die Kreditkartenabbuchung, einen Ausdruck gibt es aus Papiermangel beim Zahlgerät nicht. Um ehrlich zu sein, seien es nun 5, 10 oder 15 Euro, der Abend war zu schön, es hat sich gelohnt.
Die Fahrt ins Quartier dauert nicht lange, nach 10 Minuten erreichen wir zu später Stunde das Pakhtakor Atheltics Hotel, ca. 2,7 km vom Zentrum entfernt. Eben noch im nagelneuen Freedom Hotel untergebracht, jetzt aber ein Komfortschock – das Quartier gleicht einem abgewohnten YMCA in NCY. Die Rezeptionisten spricht kein Englisch, ich bin der Vorletzte, der endlich die Keycard bekommt. Zimmer 212, das ich als EZ nutze, ist einfach eingerichtet, zwei Betten mit aufgetürmten Handtüchern stehen an je einer Wand, der Nassraum ist desolat, weist Schimmelstellen auf, aber Dusche und Heißwasser funktionieren.
Ziyad wohnt selbst nicht im Haus, es habe kein freies Zimmer mehr gegeben. Bevor er die Unterkunft verlässt, gibt er jeden von uns 3 Essensvoucher, das Frühstück werde morgen ab 7 Uhr serviert. Viel Zeit zum Schlafen bleibt also nicht.
Ideales Wetter beim Taschkent City Marathon
In der Nacht hat es geregnet, die Temperatur um 7 Uhr liegt unter 10 Grad C. Endlich kann ich heute „wärmere“ Kleidung verwenden, die ich zuhauf in die Reisetasche gepackt und bisher mitgeschleppt habe, aber wegen der Wärme bei den bisherigen 2 Marathons nicht nutzen konnte.
Idealer könnte es nicht sein – der Marathon wird quasi vor dem Hotel, neben dem Athletic Stadion mit Laufbahn und dem Fußballplatz ausgetragen. Ich bin noch nie einen Marathon in 42 Runden gelaufen, die Strecke ist weitgehend flach, alles ist angerichtet.
Über das Langarm-shirt trage ich einen Windbreaker, auch meine alten Laufschuhe, von denen der linke seitlich ein Loch aufweist, wieder angezogen. Beim Pristina Marathon vor ca. 2 Wochen habe ich den Fehler gemacht, neue Schuhe ohne vorhergehende Nutzung zu tragen mit der Folge, dass ich mir zwei blaue Zehen eingehandelt habe. Ausgetretene Schuhe bei mehreren Bewerben knapp hintereinander sind daher eine Patentlösung bei langen Läufen, wenn’s um den nötigen Platz für die Zehen geht (weil man ja auch in den Schuhen hin und her rutscht).
Ich kommt nach dem Start, den wieder Ziyad vornimmt, gut weg, Thomas, Deborah, Steven, auch Parvaneh bleiben zunächst hinter mit. Der Rundkurs wird an diesem frühen Morgen, einem Freitag den 13, von vielen Einheimischen frequentiert, die joggen, spazieren. Auf der Strecke anzutreffen sind Frauentrupps, die die Blätter von den Bäumen zusammenrechen. Ich kann die 7er-Zeit nur knapp 2 Runden halten, dann haben mich alle hinter mir laufenden Nachzügler bis auf Lichu eingeholt. Mir fehlt dzt. die Kraft, auf einer flachen Strecke, die nur einmal auf 20 m eine Steigung von 10m aufweist, ein höheres Tempo beizubehalten.
Arkadiusz Babij (POL) und Jack Haug (SZ) liefern sich wieder ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Wojtek Machnik, der heute sein 150. Länderpunkt erzielen will und wird, hat gestern beim Essen erwähnt, dass Arkadiusz, der wie eine Rakete unterwegs ist, erst seinen 8. Marathon bisher gelaufen ist. Die beiden Führenden überholen mich im Laufe des Rennens mindestens 10 Male (man müsste natürlich die Rundenzeiten heranziehen, um dies exakt zu belegen).
Sally und Yvonne liefern sich ebenfalls ein Kopf-an-Kopf-Rennen, dass die einige Jahre ältere Sally für sich entscheiden sollte.
Meine Konzentration ist auf Debbie und Thomas Godlewsky gerichtet – nach einigen Runden haben mich beide eingeholt und liegen bis zur Halbdistanz eine knappe Runde vorne. Das zieht sich so durch. Aber insgesamt sind 42 Runden eine Frage der Konzentration, gegen Ende des Rennens sind nur mehr wir Langsamen auf der Strecke, man läuft quasi alleine.
Einer der Helfer, der die Runden zählt und die Zeitnehmung mitkontrolliert, ruft mir zu „only 5 laps left“. Deborah ist sehr knapp vor mir und beschwert sich: „How possible, I am 2 rounds ahead…“ Um Missverständnisse zu klären, renne ich ihr nach und erläutere die Situation: „Don’t forget, you have been quite a while behind me, then you overtook me and since this time I am ONLY ONE ROUND BEHIND YOU“. Sie kann das nun nachvollziehen, sieht ihren Irrtum ein und die Welt ist wieder in Ordnung.
Mit 6:22 h finishe ich den Marathon, nur Lichu, die in den USA lebende gebürtige Taiwanesin ist noch um 2 oder 3 Runden hinten. Auch sie wird den 3. Lauf auf der zentralasiatischen Marathontour beenden.
Sieger bei den Herren wird Arkadiusz Babij (3:37:34), vor Jack Haug (3:53:47) und Wojciech Machnik (4:48:23). Bei den Frauen gewinnt Sally Shreeves (5:07:01), vor Yvonne Dubois (5:18:10) und Karen Michelsen (5:58:53).
Alle Ergebnisse sind unter dem Link https://www.webscorer.com/race?raceid=332486 abrufbar.
Jene Läufer, die ihr Zimmer länger als bis 14 Uhr behalten (bei einer Laufzeit von 6:22 h wie bei mir ginge das nicht anders) zahlen 20 USD extra. So dusche ich lange und komme gegen 15:45 Uhr für die für 16 Uhr vorgesehene sehr lange Fahrt nach Tadschikistan ins Foyer.
Seit gestern ist auch der Ehepaar Sagasser hier, Mario, Obmann des 100 MC DEUT und Doris werden morgen am 4. und letzten Marathon in Khujand teilnehmen. Beide haben über 90 Länder gesammelt und deutlich mehr als 500 Marathons.
Man sieht, dass zum wirklichen Ausspannen keine Zeit bleibt, 2 Marathons binnen 24 Stunden mit nun folgender 200 km Anreise und zu erwartenden Grenzkontrollen mit Erschwernissen stehen uns bevor.
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