Auf der gut zwei Stunden dauernden Fahrt nach Steyr habe ich Zeit, meine zurecht gelegte Taktik zu verinnerlichen.

Ich plane einen gleichmäßigen Lauf über 6 Stunden mit dem Ziel, die 60 Kilometer-Marke zu knacken. Folglich soll sich meine Pace bei rund 5:50 km/min einpendeln, damit mir alle paar Kilometer ausreichend Minuten zur stressfreien Aufnahme von Flüssigkeit und fester Nahrung zu Verfügung stehen. So weit die Theorie!

Im "wirklichen" Läuferleben sind meine Gebeine nach der rund 150 minütigen Autofahrt schwer. Die schlafarme letzte Nacht, die lange Anreise und der Ausblick auf sommerliche Temperaturen mit Höchstwerten um die 28 Grad oder mehr lassen die Motivation auf einen Tiefpunkt sinken. Zweifel über die Erreichbarkeit des Zieles suchen mich heim. Ich fühle mich in Steyr plötzlich fehl am Platz.

Die Psyche in eine positive Richtung zu lenken, tut jetzt Not. Die Vorstellung des Glücksgefühls bei Erreichen der erhofften Distanz, leuchtende Kinderaugen beim Spielen mit dem von mir "erlaufenen" Kinderfahrzeug (ich organisierte einen Spendenlauf) und Gedanken an meine Familie, die ich heute Abend wiedersehen werde, hieven mich aus dem moralischen Tief und lassen mich zum Wettkampfbüro gehen, um die Startunterlagen abzuholen.

Der administrative Teil gestaltet sich unkompliziert. Neben der Startnummer 22 erhalte ich im Goody-Bag neben üblichen Zugaben wie Mini-Toilettartikel, eine Flasche Apfelsaft, reichlich Informationslektüre auch - am heutigen Hitzetag beinahe provokant - einen Regenschirm. Bloß der bei solchen Veranstaltungen übliche Haftungsausschluss mit ".... nehme zur Kenntnis, dass .... blabla das Risiko von schweren Verletzungen bis hin zum T-Wort"  jagt mir immer wieder einen kalten Schauer über den Rücken.

Gemeinsam mit mir stehen rund 80 Einzelstarter des 6-Stunden-Laufes sowie eine Schar an Staffelläufer pünktlich um 10.00 Uhr am Start. In meiner Hosentasche befinden sich drei Salztabletten, die ich alle 90 Minuten zu mir nehmen werde. Dadurch erhoffe ich mir, von Muskelkrämpfen verschont zu bleiben.

Endlich geht es los. Die ersten beiden Runden nutze ich, um meinen Rhythmus zu finden. Zeit für das Streckenstudium werde ich noch zur Genüge haben. Immerhin muss ich für meine Zielerreichung den Kurs 44 mal umrunden. Bereits jetzt um 10 Uhr lässt sich erahnen, dass die Sonne heute gnadenlos sein und gehörig Schweiß fließen lassen wird. Ich entschließe mich frühzeitig, die Intervalle zur Flüssigkeitsaufnahme zu verkürzen und nehme meist alle zwei Runden Iso und Wasser zu mir.

Hinter der ersten Stunde ist ein Häkchen zu setzen. Nach 60 Minuten bin ich laut meinem Forerunner 10,4 Kilometer gelaufen. Der geübte Stundenläufer zählt Runden, nicht Kilometer. Aber dazu später noch mehr.

Die Strecke selbst ist schnell beschrieben: Der 1369 Meter lange Rundkurs befindet sich im Industriegebiet von Steyr. Vom Start führt die Strecke vorbei an den Hallen von Kappa Filter Systems und Steyr Motors ein paar hundert Meter in nördliche Richtung, Hier wird auf Höhe der Werkshalle von NKE Austria kehrt gemacht und die selbige Gerade in südliche Richtung zurück gelaufen. Bevor uns eine Schleife mit 3 Höhenmeter wieder zu Start und Ziel leitet, ist die Labestation eingerichtet.

Hier stehen ein isotonisches Getränk von Nutrilite, Wasser sowie Mineralwasser, Cola, Bier und Apfelsaft bereit. Als feste Nahrung können Salzbrezel, Gurkenscheiben, Apfelspalten, Bananen, leckeren Kuchen, Kartoffel sowie Nudeln zu sich genommen werden.

Zwei Stunden sind gelaufen. Der Schweiß strömt aus allen Poren. Ich bin planmäßig on the Road. 20,6 Kilometer meldet mir Freund Garmin. Ein Moderator bemüht sich redlich, im Start-/Zielbereich für Unterhaltung und neueste Informationen zu sorgen. Ich trinke weiterhin alle zwei Runden Iso und Wasser, dazwischen nehme ich als feste Nahrung mal ein Stück Kuchen, ein paar Salzbrezel oder die eine oder andere Apfelspalte zu mir. Im späteren Verlauf des Rennens werde ich auch zu Cola und Bier greifen.

Ich bin versucht, mich für ein paar Runden vom Ipod begleiten zu lassen. Noch zu früh dafür, meldet sich das Gewissen! Es ist bestimmt ein Jahr her, dass ich mich auf einem Lauf von Musik ablenken habe lassen. Aber heute scheint es eine willkommene Abwechslung zu sein. Die Musikbegleitung wird auf Stunde fünf verschoben. Nach vier gelaufenen Stunden gilt es als vereinbart, dass ich mir als Belohnung den Ipod nehmen darf. Abgemacht!

Halftime! Die Beine fühlen sich geschundener an als ich es zu diesem Zeitpunkt erwartet habe. Ich halte mich zwar weiterhin mit einem deutlichen Plus an Strecke gut im Rennen, aber die hohen Temperaturen zehren an den Reserven.

Ein Blick auf den bei Start/Ziel installierten Live-Monitor verrät mir, dass ich 22 Runden gelaufen bin. Moment mal! Genau die Hälfte der von mir eingeforderten 44 Runden? Unter diesen Bedingungen ist "22 mal 1369" Meter eine anspruchsvolle Prüfung. Nach Adam Riese ergibt das Ergebnis eine gelaufene Streckenlänge von 30,1 km. Ein echter Schock, denn ich habe mich mit deutlichem Vorsprung auf mein Endziel im Rennen gewähnt.

Stimmt, ich habe mich von Anfang an nicht besonders auf die Ideallinie *) konzentriert. Dazu kommt der eine oder andere Meter Messabweichung meines GPS-Instrumentes. Der vermeintliche Vorsprung von einigen hundert Metern verpufft wie ein Tropfen Wasser auf dem heißen Asphalt des Steyr´s Rundkurs.

*)  Nach gut drei Stunden wähle ich bewusst die Linie eines führenden Läufers. Siehe da, ich verliere bis zum Zielschluss tatsächlich nur noch wenige Meter gegenüber der vermessenen Streckenlänge.

Die Motivation ist im Keller. Mit einem Schlag wird mir klar, dass die Zielerreichung nicht mehr realistisch ist. Ich muss mich aufrichten und suche nach positiven Aspekten. Ich führe mir vor Augen, dass ich mit den bereits erreichten 30 Kilometer schon eine Spendensumme von 180 Euro erlaufen bin. Das macht mich dann doch ein wenig Stolz und Plan B wird definiert: Minimalziel 55 Kilometer gilt es nun zu schaffen.

Die Strecke hat sich gefüllt. Um 13 Uhr sind die 3-Stunden-Läufer gestartet. Noch frisch und voller Elan teilen sie sich den Rundkurs nun mit uns.

Nach 29,5 Runden schließe ich die vierte Stunde ab. Die 40 (offiziellen) Kilometer sind geschafft. Noch exakt im 6-Minuten-Schnitt, aber ich habe zu kämpfen. Illusorisch zu glauben, dass ich das Tempo weitere zwei Stunden halten kann. Zeit für eine Belohnung. Ich halte kurz bei meiner am Streckenrand abgestellten Tasche und nehme den Ipod mit auf die folgenden Runden. Techno wie "Das Boot" bringt wieder etwas Schwung in meinen Laufschritt. Seiler und Speer´s schware Partie lässt mich schmunzeln . Beim Titel "Der Berg ruft" von K2 erinnere ich mich an den kürzlich gelaufenen Bergmarathon in Kainach bei Voitsberg.

Trotz Salztabletten und regelmäßiger Flüssigkeitszufuhr krampft nun regelmäßig mein linker Oberschenkelmuskel und zwingt mich immer wieder zu kurzen Stopps oder Geh-/Humpelpausen. Nun ist es wirklich hart. Aber der Schmerz wird vergehen. So wie jedes mal. Und die Freude und der Stolz wird bleiben. Laufen, das ist mein Ding!

Mein Focus ist weiterhin auf das Erreichen der 55 Kilometer gerichtet. Nach fünf Stunden stimmen mich 35 gelaufene Runden bzw. 48 Kilometer zuversichtlich, den heutigen Wettkampf den Umständen entsprechend doch noch einigermaßen erfolgreich abzuschließen.

steyr erlebnisbericht 2016 600b

Die letzten 60 Minuten bringen mir weitere 8 Kilometer. Punkt 16 Uhr erklären abgeschossene Feuerwerksraketen die Veranstaltung für beendet. Ich halte an, setze mich hin und warte auf die Vermessung der restlichen Meter. Eine wunderschöne, von der Lebenshilfe Steyr gefertigte Finisher-Medaille wird mir um den Hals gehängt und eine Flasche alkoholarmes Bier kredenzt. Ich werde beim 6-Stunden-Lauf in Steyr letztendlich mit 55,772 Kilometer im offiziellen Endergebnis auf Rang 30 von 78 Startern klassiert sein.

Resümee? Ich kann den 6-Stunden-Lauf in Steyr als sehr gut organisierte Veranstaltung vorbehaltlos weiterempfehlen. Langeweile stundenlanges im Kreis rennen? Fehlanzeige! Die Jagd nach Kilometer in einer vorgegebenen Anzahl von Stunden ist faszinierend und ein weiteres Puzzleteil in der Bandbreite unseres Laufsports. Es wird nicht mein letzter Stundenlauf gewesen sein.

Ich bin jetzt ein Ultraläufer!


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